Die Wirtschaftsweisen haben der Bundesregierung ein ernüchterndes Zeugnis ausgestellt: Trotz des milliardenschweren Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) erwarten die Ökonomen für das Jahr 2026 nur 0,9 Prozent Wachstum. Die Umsetzung des Finanzpakets sei „stark verbesserungsbedürftig“, heißt es im am Mittwoch veröffentlichten Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Im Frühjahr hatten die Experten noch 1,0 Prozent Wachstum prognostiziert. Nun senkten sie die Erwartungen – und kritisieren die Regierung scharf: Das Sondervermögen werde „zu großen Teilen für Umschichtungen im Haushalt und konsumtive Ausgaben genutzt“. Weniger als die Hälfte der Mittel fließe tatsächlich in Investitionen für Infrastruktur oder Klimaneutralität. Dadurch verpuffe ein zentraler Hebel für langfristiges Wachstum.
„Die Chancen, die sich aus dem Sondervermögen ergeben, dürfen nicht verspielt werden“, warnte Ratsvorsitzende Monika Schnitzer. Statt nachhaltige Impulse zu setzen, würden kurzfristige politische Projekte finanziert – mit fragwürdigem Effekt.
Für 2026 erwarten die Experten, dass das Wachstum vor allem durch steigende Staatsausgaben und mehr Arbeitstage getragen wird. Inflation und Arbeitslosigkeit dürften sich nur geringfügig verändern: Die Verbraucherpreise sollen um 2,1 Prozent steigen (nach 2,2 Prozent in diesem Jahr), die Arbeitslosenquote leicht auf 6,1 Prozent sinken.
Immerhin hoben die Wirtschaftsweisen ihre Prognose für das laufende Jahr von 0,0 auf 0,2 Prozent an. Grund seien revidierte Statistiken und kurzfristige Schwankungen durch die US-Handelspolitik. Dennoch bleibe das Bild klar: Deutschlands Wirtschaft tritt auf der Stelle.
Das SVIK, einst als Symbol für die Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik gestartet, droht zu einem bürokratischen Selbstläufer ohne Konjunkturwirkung zu werden.
OZD
OZD-Kommentar:
Es ist ein bitteres Urteil: Milliarden stehen bereit, doch der
Aufschwung bleibt aus. Was die Wirtschaftsweisen beschreiben, ist ein
Lehrstück in politischem Selbstbetrug. Statt Investitionen zu fördern,
wird das Sondervermögen zum Schattenhaushalt, der Lücken stopft, aber
keine Zukunft baut. Während Deutschland über Standortverluste, lahmende
Innovation und Bürokratie klagt, verpuffen Milliarden im
Verwaltungsnebel. Die Regierung wollte ein Signal des Aufbruchs –
geworden ist es ein Mahnmal der Mutlosigkeit. Wachstum braucht Mut zur
Entscheidung, nicht kosmetische Buchungstricks.
Mini-Infobox:
– Wachstumsprognose 2026: +0,9 %
– Inflation: 2,1 % erwartet
– Arbeitslosenquote: 6,1 % (nach 6,3 %)
– Sondervermögen SVIK: Kritik wegen Zweckentfremdung
– Prognose für 2025: leicht auf 0,2 % angehoben
OZD-Analyse
Hintergrund des Sondervermögens
a) Das SVIK wurde geschaffen, um Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität zu fördern.
b) Ziel war es, die deutsche Wirtschaft nach Jahren der Stagnation zu modernisieren.
c) Tatsächlich fließt ein Großteil der Mittel in konsumtive Ausgaben und Haushaltssanierungen.
Folgen für die Wirtschaft
– Fehlende Investitionen führen zu geringem Wachstum trotz hoher Staatsausgaben.
– Unternehmen leiden weiter unter Unsicherheit und bürokratischen Hürden.
– Die Schuldenstandsquote steigt stärker als geplant – mit langfristigen Risiken.
Politische Brisanz
– Das Gutachten ist ein deutlicher Warnschuss an die Bundesregierung.
– Monika Schnitzer fordert klare Prioritäten und transparente Investitionskontrolle.
– Ohne Kurskorrektur droht Deutschland, im internationalen Vergleich weiter zurückzufallen.
Was ist der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung?
Der Sachverständigenrat, oft „Wirtschaftsweise“
genannt, berät die Bundesregierung seit 1963 in wirtschaftspolitischen
Fragen. Das fünfköpfige Expertengremium erstellt jährlich ein Gutachten,
das die wirtschaftliche Lage analysiert und Handlungsempfehlungen gibt.
Was ist das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK)?
Das SVIK ist ein milliardenschwerer Fonds, mit dem die Bundesregierung Investitionen in Verkehr, Digitalisierung, Klimaschutz und Energieeffizienz
fördern will. Kritiker bemängeln jedoch mangelnde Transparenz und die
Zweckentfremdung der Mittel für allgemeine Haushaltsausgaben.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
OZD-Extras
Fakt am Rande: Die
Wirtschaftsweisen kritisieren bereits seit 2022 wiederholt, dass
Deutschland zu wenig in Brücken, Bahn und digitale Netze investiert – im
EU-Vergleich liegt die Bundesrepublik bei den Nettoinvestitionen im
unteren Drittel.