Die Koalition aus Union und SPD hat sich auf ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Stärkung der deutschen Wirtschaft geeinigt. In einer langen Sitzung am Donnerstagabend beschlossen die Parteispitzen unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) eine Reihe von Entlastungen, die vor allem energieintensive Industrien und den Luftverkehr unterstützen sollen. Herzstück ist ein subventionierter Industriestrompreis von fünf Cent je Kilowattstunde für stromintensive Firmen, gültig von 2026 bis 2028. Die Kosten für den Staat liegen laut Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) bei drei bis fünf Milliarden Euro.
Merz betonte, Deutschland brauche „eine starke Wirtschaft und sichere, gut bezahlte Arbeitsplätze“. Energie spiele dabei eine Schlüsselrolle. Parallel sollen im kommenden Jahr Gaskraftwerke im Umfang von acht Gigawatt ausgeschrieben werden, um die Versorgung abzusichern, wenn erneuerbare Energien nicht ausreichen.
Auch die Luftfahrtbranche soll entlastet werden: Die Koalition beschloss die Rücknahme der zuletzt erhöhten Luftverkehrssteuer. Das bringe eine wirtschaftliche Wirkung von 350 Millionen Euro, sagte Merz. CSU-Chef Markus Söder sprach von einem „klaren Signal für die Wettbewerbsfähigkeit des Fliegens in Deutschland“.
Neu ist zudem ein Deutschlandfonds zur Förderung von Startups. Der Staat soll zehn Milliarden Euro bereitstellen, die über privates Kapital zusätzliche Investitionen ermöglichen sollen. Klingbeil kündigte weitere Details in den kommenden Tagen an.
Wirtschaftsverbände lobten das Paket, forderten jedoch mehr Tempo. Der Verband der Chemischen Industrie sprach von einem „nützlichen Baustein“, mahnte aber eine breitere Standortoffensive an. Auch die IG Metall begrüßte die Einigung, betonte jedoch, dass der Industriestrompreis „kein Allheilmittel“ sei.
Nach der gemeinsamen Pressekonferenz berieten die Koalitionsspitzen weiter. Merz zeigte sich optimistisch, auch im Streit um das Verbrenner-Aus und das Rentenpaket Fortschritte zu erzielen. Am Donnerstagabend gab es jedoch keine weiteren Beschlüsse. Fest steht: Bis Weihnachten will die Koalition noch zweimal zusammenkommen.
OZD
OZD-Kommentar:
Dieses Paket ist kein großer Wurf – aber ein deutliches Zeichen, wie
nervös die Koalition angesichts des wirtschaftlichen Standortverlustes
geworden ist. Der Industriestrompreis wirkt wie ein politischer
Defibrillator: kurzfristig nötig, aber langfristig keine nachhaltige
Therapie. Denn was nützt billiger Strom, wenn Investoren zugleich über
überbordende Bürokratie, schleppende Genehmigungen und Unsicherheit beim
Klimakurs klagen?
Auch die Rücknahme der Flugsteuer zeigt, wie sehr Berlin inzwischen im europäischen Standortwettbewerb unter Druck steht. Deutschland ist teuer, langsam und voller Widersprüche – diese 350 Millionen Euro lösen keines der strukturellen Probleme. Der neue Deutschlandfonds klingt ambitioniert, doch ohne klare Regeln droht er zum politischen Wunschprojekt ohne Wirkung zu werden.
Die Wahrheit ist: Deutschland taumelt wirtschaftlich. Und die Koalition weiß es. Dieses Paket ist ein Versuch, die Abwärtsspirale zu stoppen – aber es bleibt eine Zwischenlösung. Wenn Merz, Klingbeil und Söder sich wirklich voranwagen wollen, müssen sie die heiligen Kühe der Republik schlachten: Steuern, Abgaben, Planungsrecht, Bürokratie. Andernfalls bleibt „economy first“ nur eine Parole ohne Wirkung.
Mini-Infobox:
– Industriestrompreis: 5 Cent/kWh für energieintensive Unternehmen
– Kosten für den Staat: 3–5 Mrd. Euro
– Rücknahme der Flugsteuer-Anhebung: Entlastung von 350 Mio. Euro
– Deutschlandfonds für Startups (10 Mrd. Euro staatlich)
– 8 Gigawatt neue Gaskraftwerke bis 2031
OZD-Analyse:
Wirtschaftlicher Druck und Standortprobleme
a) Hohe Energiepreise bedrohen Industrien wie Stahl, Chemie und Autobau.
–
b) Unternehmen fordern seit Jahren Entlastungen, die nun teilweise umgesetzt werden.
–
c) Die Entlastungen sind kurzfristig wirksam, lösen aber keine strukturellen Probleme.
Politische Dimension des Pakets
– Merz will Handlungsfähigkeit zeigen und interne Parteikämpfe befrieden.
– SPD betont Arbeitnehmerinteressen und Arbeitsplatzsicherheit.
– CSU drängt auf schnelle Entlastungen, besonders im Verkehrssektor.
Risiken und Folgen
a) Staatskosten in Milliardenhöhe belasten zukünftige Haushalte.
–
b) Energiepolitische Doppelstrategie (Erneuerbare + neue Gaskraftwerke) könnte neue Abhängigkeiten schaffen.
–
c) Unklar bleibt, ob die Maßnahmen reichen, um Abwanderung von Industrie zu verhindern.
Was ist der Industriestrompreis?
Der Industriestrompreis ist ein staatlich subventionierter, künstlich
abgesenkter Stromtarif für energieintensive Unternehmen. Er soll die
internationale Wettbewerbsfähigkeit von Branchen wie Stahl, Chemie und
Metall sichern, die besonders unter hohen Energiepreisen leiden.
Was ist die Luftverkehrssteuer?
Die Luftverkehrssteuer ist eine Abgabe auf Flüge ab Deutschland. Sie
soll klimapolitische Lenkungseffekte erzielen, erhöht aber zugleich die
Ticketpreise und steht unter Kritik der Luftfahrtbranche, die
Wettbewerbsnachteile gegenüber europäischen Nachbarn sieht.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
OZD-Extras
Kurios: Noch vor
wenigen Jahren wurde der Industriestrompreis parteiübergreifend als
„marktfeindliche Subvention“ abgelehnt – nun wird er als Rettungsanker
gefeiert.