Sahra Wagenknecht hat auf dem Bundesparteitag in Magdeburg ungewöhnlich deutliche Worte gefunden. Vor den Delegierten sprach die 56-Jährige von der „schwierigsten Phase unserer Parteigeschichte“ und räumte ein, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht nach knapp zwei Jahren sowohl Erfolge gefeiert als auch „manches falsch gemacht“ habe. Parteineugründungen in Regierungsverantwortung stünden immer unter besonderem Druck, betonte sie – und Fehler seien „kaum vermeidbar“ gewesen.
Als zentralen Misstand nannte Wagenknecht die strenge Aufnahmepolitik der Partei. Diese sei notwendig gewesen, um „Chaos“ zu verhindern, habe aber vielen Menschen das Gefühl gegeben, unerwünscht zu sein. „Es entstand der Eindruck eines abgeschotteten Vereins“, sagte sie. Künftig soll jeder Antrag nach zwei Monaten automatisch zu einer Mitgliedschaft führen – sofern keine wichtigen Gründe dagegenstehen. Für diese grundlegende Kursänderung sei auch eine Satzungsänderung geplant.
Wagenknecht machte klar, dass sie nicht erneut für den Parteivorsitz antreten werde. Stattdessen wolle sie künftig die inhaltliche Ausrichtung prägen und die neue Grundwertekommission leiten. „Ich ziehe mich nicht zurück“, betonte sie. Man müsse weiter mit ihr rechnen – und das „noch lange“.
Die Parteiführung soll künftig EU-Abgeordneter Fabio de Masi gemeinsam mit Amira Mohamed Ali übernehmen. Vom Parteitag erhofft sich Wagenknecht einen „neuen Aufbruch“ für das BSW – in einer Phase, in der die Partei mit sinkender Unterstützung und wachsender Konkurrenz unter Druck steht.
OZD
OZD-Kommentar: „Der Aufbruch aus der eigenen Festung“Wagenknechts Worte sind selten offen – und genau deshalb brisant. Wenn eine Parteigründerin von der „schwierigsten Phase“ spricht, ist das ein Warnsignal. Das BSW hat sich in kürzester Zeit selbst eine Festung gebaut: geschlossene Reihen, restriktive Aufnahme, defensives Auftreten. Nun merkt man, dass man Wählerinnen und Interessierte gleichermaßen ausgesperrt hat.
Der angekündigte Öffnungskurs ist überfällig, aber er kommt spät. Die Frage ist nicht, ob das BSW reformbereit ist – sondern ob es noch genug Menschen gibt, die überhaupt eintreten wollen. Wagenknechts Rückzug vom Vorsitz wirkt dabei wie eine strategische Umschichtung der Machtverhältnisse. Sie bleibt im Zentrum, aber ohne die Verantwortung der ersten Reihe.
De Masis mögliche Wahl zum Parteichef wird zeigen, ob die Partei mehr sein kann als ein politischer Resonanzraum einer prominenten Gründerin. Ohne radikale Transparenz und klare inhaltliche Konturen droht das BSW trotz großem Potenzial in der Bedeutungslosigkeit zu verharren.
Mini-InfoboxBSW befindet sich laut Wagenknecht in „schwierigster Phase“
Mitgliederaufnahme soll deutlich erleichtert werden
Satzungsänderung für automatisierte Aufnahme geplant
Wagenknecht tritt nicht erneut für Parteivorsitz an
Fabio de Masi soll neuer Parteichef werden

OZD-Analyse
1. Die Ursachen der BSW-Krise
– a) restriktive Aufnahmepolitik schreckt Unterstützer ab –
– b) interne Machtfragen belasten Aufbauphase –
– c) fehlende Parteistrukturen in vielen Regionen –
2. Wagenknechts Rollenwechsel
– a) Rückzug aus der ersten Reihe ohne Machtverlust –
– b) Fokus auf Grundwertekommission –
– c) strategische Positionierung vor den nächsten Wahlen –
3. Die Zukunft der Partei
– a) Öffnungskurs als Chance auf Wachstum –
– b) Führungstandem de Masi/Mohamed Ali als Stabilitätsfaktor –
– c) Gefahr einer Spaltung bei ausbleibenden Erfolgen –

Wer ist Sahra Wagenknecht?
Sahra Wagenknecht ist eine deutsche Politikerin und Gründerin des
Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW). Sie war zuvor führende Vertreterin
der Linkspartei, veröffentlichte mehrere Bücher und gilt als eine der
polarisierendsten politischen Figuren Deutschlands.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
Was ist das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)?
Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine 2023 gegründete politische
Partei, die wirtschaftspolitisch links, gesellschaftlich konservativ und
migrationskritisch auftritt. Die Partei entstand durch eine Abspaltung
von der Linkspartei und zieht seitdem Protestwähler sowie enttäuschte
frühere Linke an.
Extra: Warum neue Parteien fast immer in die Krise stürzen
Parteineugründungen kämpfen fast ausnahmslos mit denselben Problemen:
fehlende Strukturen, ungeklärte Rollen, Überlastung der Führung und hohe
Erwartungshaltungen. Das BSW reiht sich damit in die historischen
Muster von Piratenpartei bis AfD ein – doch der Ausgang ist offen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.