Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will den überarbeiteten Plan der USA für ein mögliches Ende des russischen Angriffskriegs „in naher Zukunft“ nach Washington übermitteln. Die ukrainischen und europäischen Positionen seien nun „weiter fortgeschritten“, erklärte Selenskyj am Dienstag auf X. Damit rückt eine neue Verhandlungsrunde näher – während US-Präsident Donald Trump den Ton gegenüber der Ukraine und Europa verschärft.
Der ursprüngliche US-Plan war von Kiew und mehreren europäischen Staaten als deutlich zu russlandfreundlich kritisiert worden. Damals sollten die Ukraine auf einen Nato-Beitritt verzichten, ihre Streitkräfte verkleinern und den gesamten Donbass an Russland abtreten – auch Teile, die nicht von Russland kontrolliert werden. Nach Überarbeitung umfasst das Papier nun nur noch 20 Punkte, wobei Selenskyj vor allem Sicherheitsgarantien einfordert. Welche konkreten Änderungen erfolgt sind, bleibt allerdings geheim.
Der Kreml signalisierte am Dienstag keinerlei Bereitschaft, von seinen Forderungen abzurücken. Präsident Wladimir Putin bezeichnete den Donbass erneut als „historisches Territorium“ Russlands. Für Selenskyj ist jede Abtretung ausgeschlossen: Nach Verfassung, Völkerrecht und moralischem Anspruch habe die Ukraine „kein Recht“, russische Forderungen zu erfüllen.
Selenskyj hatte am Montag in London mit Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Keir Starmer über den US-Plan beraten. Später traf er in Brüssel Vertreter von EU und Nato. Am Dienstag führte ihn seine Reise nach Italien weiter, wo er Papst Leo XIV. und Regierungschefin Giorgia Meloni traf. Italien gehört trotz interner Spannungen weiterhin zu den Unterstützern Kiews, auch wenn die Entscheidung über eine Verlängerung der Militärhilfe kürzlich vertagt wurde.
Trump setzte derweil auf maximalen Druck. In einem Interview mit „Politico“ kritisierte er sowohl Europa als auch die Ukraine. Selenskyj „rede zu viel und erreiche nichts“, sagte der Präsident und drängte ihn, dem Plan zuzustimmen, da die Ukraine „den Krieg verliere“. Darüber hinaus forderte Trump Neuwahlen in der Ukraine, obwohl diese laut Verfassung in Kriegszeiten nicht zulässig sind.
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OZD-Kommentar – „Der Plan, der spaltet: Warum Selenskyj jetzt allein auf der Klippe steht“
Selenskyj balanciert auf einem politischen Grat, der täglich schmaler wird. Während er versucht, einen überarbeiteten US-Plan zu retten, der für die Ukraine überhaupt erst verhandelbar erscheint, rückt Trump mit rhetorischem Vorschlaghammer an. Dass der US-Präsident offen behauptet, Kiew verliere den Krieg – und Selenskyj den eigenen Friedensplan nicht einmal gelesen habe –, ist mehr als Provokation. Es ist Machtdemonstration.
Die Gefahr liegt darin, dass Washington längst ein anderes Ziel verfolgt als Kiew: ein schnelles Ende des Kriegs, koste es die Ukraine, was es wolle. Europa wiederum wirkt zerrissen zwischen Solidarität und Kriegsüberdruss. Für Selenskyj ist das ein Albtraum. Er weiß: Jeder Zentimeter nachgiebiger Haltung könnte ihm innenpolitisch das Genick brechen – doch jede Weigerung erhöht den Druck aus Washington.
Der überarbeitete Plan mag Kiew mehr entgegenkommen, doch der geopolitische Wind weht eisig. Und Selenskyj steht im Zentrum eines Sturms, den er allein nicht aufhalten kann. Das eigentliche Drama ist: Die Entscheidungen der kommenden Wochen könnten über das Schicksal der Ukraine für Generationen bestimmen.

Mini-Infobox
Ursprünglicher US-Plan: 28 Punkte → jetzt 20
Altversion: Verzicht auf Nato-Beitritt, verkleinerte Armee, Abgabe des Donbass
Putin bekräftigt Anspruch auf Donbass
Selenskyj: Keine Gebietsabtritte möglich
Trump: Drängt auf Zustimmung, fordert sogar Neuwahlen
OZD-Analyse
1. Politische Fronten zwischen Kiew, Washington und Moskau
– a) USA erhöhen Druck auf schnelle Einigung –
– b) Europa fordert stärkere Sicherheitsgarantien für die Ukraine –
– c) Russland beharrt auf territorialen Maximalforderungen –
2. Die strategische Lage der Ukraine
– a) militärische Belastung und innenpolitischer Druck –
– b) begrenzte Verhandlungsspielräume wegen Verfassung und Völkerrecht –
– c) Gefahr erzwungener Kompromisse durch ausländische Interessen –
3. Folgen für den Westen
– a) potenzielle Spaltung zwischen USA und EU über Friedensbedingungen –
– b) wachsende Abhängigkeit Europas von inneramerikanischen Machtkämpfen –
– c) Risiko eines instabilen Friedens mit langfristigen geopolitischen Nachwirkungen –
ErklärungenWer ist Wolodymyr Selenskyj?
Wolodymyr Selenskyj ist seit 2019 Präsident der Ukraine. Der ehemalige Schauspieler wurde nach dem russischen Angriff 2022 zum internationalen Symbol des Widerstands. Er fordert umfassende Sicherheitsgarantien und lehnt Gebietsabtretungen strikt ab.

OZD-Extras
Historischer Kontext:
Noch nie seit Ende des Kalten Krieges hatte ein US-Präsident so direkten
Einfluss auf die Kriegsbeendigungspläne eines europäischen Landes wie
Donald Trump derzeit auf die Ukraine.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.