In fast allen Ländern sterben Hunderte von Menschen jeden Tag an einer Infektion und keiner kann über Nacht etwas weltverbesserndes unternehmen. Zumindest solange nicht, bis eine Lösung gefunden ist, den Viren ihr Schießpulver zu entziehen.
Dabei müsste doch etwas existieren, was dies alles nicht zulassen würde.
Dieses Etwas ist für viele Menschen Gott, im theistischen Bekenntnis, ein sittlich vollkommener, allwissender und allmächtiger, welcher jedes Übel und Leid verhindern könnte, wenn er wollte.
Da dieser Gott diese Prädikate impliziert, würde er natürlich auch versuchen wollen alles Übel und Leid zu verhindern. Nun gibt es aber Übel und Leid. Daraus würde folgen, dass Gott nicht existiert. Es gibt alternativ, wenn man am theistischen Bekenntnis festhalten möchte, die Möglichkeit, die Prämissen induktiv so zu modifizieren, dass die Einigung zwischen dem Glauben an Gott und dem allgegenwärtigen Leid plausibel werden kann. Bezogen auf das Werk „Gott im Leid“1 von Prof. Dr. Armin Kreiner handelt dieser Essay von der Frage: Sprechen Übel gegen die Existenz Gottes?
Zur Beantwortung dieser Frage, wie Übel kohärent zu Gott existieren kann, gibt es verschiedenste Ansätze, wie dies vereinbar sein könnte. Einer solcher Versuche hält einer atheistischen Argumentation keinesfalls stand; kombiniert jedoch könnte ein Kopf an Kopf Duell geschaffen werden, in dem in der Fülle der derzeitigen Meinungen die atheistische Seite zwar siegreich davon geht, jedoch nicht evident.
Dieser Essay gibt eine komprimierte und ziemlich kurz gefasste Skizze eines möglichen Arguments für Gott wieder, ohne fest daran zu glauben, lediglich um die Grenzen zu testen, da der Gedanke allein eine spannende Differenzierung erlaubt.
Die gewichtigste These ist die Willensfreiheit. Grundsätzlich gilt, dass eine Welt mit Willensfreiheit eine bessere Welt ist, als eine ohne Freiheit, denn ohne sie wäre diese Welt bloß eine determinierte, für uns Menschen scheinbare, die ein Despot erschuf. Noch weiter: Ohne Willensfreiheit wäre dieses Leben nicht lebenswert. Gott schuf die Menschen also mit einem freien Willen, welcher dazu führt, dass in einer Entscheidung sowohl das Gute als auch das Schlechte gewählt werden kann. Somit läuft es darauf hinaus, dass der freie Wille Leid und Übel impliziert.
Nun stellt sich jedoch die Frage, warum lässt Gott überhaupt schlechte Auswahlmöglichkeiten zu - könnte er nicht nur im Bereich des Guten eine Willensfreiheit garantieren? Ein Mensch kann sich durch die Wahlmöglichkeit nicht mehr sittlich und ethisch korrekt verhalten. Das Gute fällt somit im Gebrauch weg. Außerdem würde ohne Hass keine Liebe bestehen. Das ist eine notwenige Ambivalenz dieser Welt.
Eine Freiheit lässt also Fehler zu, was Gott zu einem Wesen macht, dass Fehler zulässt und auch nicht unterbinden möchte. Dies bedeutet wiederum, es braucht ein sogenanntes Gottes- oder Weltbild, was diese Freiheit - auch für Fehler - impliziert. Zudem benötigt die Kritik, dass Gott nicht in - um in das einleitende Beispiel zu kommen - Pandemien einschreitet, wenn er doch allmächtig ist, ebenfalls ein solches Bildnis.
Dieses Konstrukt eines Gottesbildes entsteht aus den Wurzeln der Prozesstheologie und sieht wie folgt aus: Ein allwissender Gott, der stets eingreifen würde, um alles Übel und Leid akut zu unterbinden, würde ein Chaos hinterlassen. Eine Welt ohne jegliche Gesetzmäßigkeiten. Oder er würde präventiv eingreifen und würde zum Tyrannen werden, der keine Freiheit zulässt.
Somit bedarf dieser Begriff des allwissenden Gottes einer Modifikation. Diese macht aus dem allwissenden, allmächtigen und sittlich vollkommenen Gott einen mit den Grenzen der Metaphysik. Und er schafft allgemein hin einen Gott mit den zugeschriebenen Prädikaten vereinten Gott, der ein Konstrukt aus Gesetzmäßigkeiten schuf, damit kein Chaos herrscht, woraus Kausalzusammenhänge gedacht werden und Verhaltensweisen abgelesen werden können. Gott ist allgegenwärtig pantheistisch in der Natur vertreten und kann nicht als etwas Größeres gedacht werden.
Wie Thomas Hobbes sagt: Gott ist etwas Ewiges, dem keine frühere Ursache zugrunde liegt.2 Er ist somit für das menschliche Wesen unbegreiflich, was eine privatio boni darstellt. Das bedeutet, man kann Gott keine Prädikate mit Sicherheit zuweisen, lediglich diese aufgrund der Beschaffenheit dieser erfahrbaren Welt vermuten.
So ein Wesen steuert die Welt also nicht akut, eher a priori, jedoch nicht despotisch, viel mehr formte Gott wie ein Architekt, durch Überredung der metaphysischen Grenzen, welche in Gott zwangsläufig enthalten sind, wie ein Geist seinen Körper, die Beste aller möglichen Welten. Nun kann man sich ohne große Schwierigkeiten eine bessere vorstellen, doch fehlt es diesen Gedanken an Fundament, vor allem aber göttlicher Intention.
Die Beschaffenheit der Welt ist somit so geschaffen, dass Vergehen und Entstehen, darin eingeschlossen natürliche Übel, aus diesem gesetzmäßigen System nicht weg zu denken sind. Sollte jemand davon träumen, dass es keinen Hunger, keine Krankheiten mehr gibt, bräuchte es dafür eine unendliche Welt mit unendlichen Ressourcen. Man müsste Gott selbst werden.
Kritikern fehlt bei diesem prozesstheologisch-behafteten Weltbild an Gerechtigkeit für einzelne Individuen, dass dieser Gott irdisch das Beste für das Ganze will und den Einzelnen vernachlässigt. Dass es am Ende zu einem Eschaton kommen mag, schließt dies jedoch nicht aus. Gott kann dem Individuum in dieser beschaffenen Welt eine Entschädigung für großes Leid geben, in dem er das irdische Leben als eine - metaphorisch ausgedrückte - Liebesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen sieht und durch das Bestehen dieser, einen Weg ins Jenseits ermöglicht. Der Einzelne wird zu Gott selbst und transzendiert in ihn.
Es ist also möglich, ein Gottesbild zu schaffen, welches das theologische Bekenntnis nicht ausschließt und an einem allmächtigen, allwissenden und sittlich vollkommenen Gott festhält, dazu Leid impliziert. Der Umriss zeigt einen Versuch dieses Problem zu differenzieren. Dieses Theodizee-Problem ist also eher eine Aporie, als ein sicheres Unterfangen und benötigt ein wenig mehr Tinte, um eine plausible Argumentation zu formen.
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1 Kreiner, Armin (2005): Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizee-Argumente. Erweiterte Neuausgabe. Freiburg im Breisgau ; Basel ; Wien: Herder.
2 Vgl. Hobbes, Thomas: Leviathan. Teil I und II. 3. Auflage. Berlin: Suhrkamp Verlag 2018. S.104
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