Es ist der unerwartete Befreiungsschlag, den kaum jemand mehr für möglich gehalten hatte: Der kriselnde FC St. Pauli hat Borussia Mönchengladbach mit 2:1 (1:0) aus dem DFB-Pokal geworfen und ein Lebenszeichen gesendet, das nach neun Liga-Niederlagen in Folge kaum glaubhaft wirkte. Martijn Kaars (43.) und Louis Oppie (83.) trafen für die Hamburger, die erstmals seit Jahren wieder ins Pokal-Viertelfinale einziehen und dabei kämpferisch überzeugten wie schon zuletzt bei der 1:3-Niederlage in München.
Gladbach dagegen wirkte offensiv ideenlos und harmlos. Mehr als der Ausgleich durch Haris Tabakovic (56.) gelang dem Team von Eugen Polanski nicht, das nach fünf ungeschlagenen Pflichtspielen wieder einen Rückschlag hinnehmen musste.
Dabei hatten die Gastgeber früh mehr Ballbesitz, doch aus dem Vorteil entstand kaum Gefahr. Nikola Vasilj musste an seinem 30. Geburtstag lediglich einen Schuss von Kevin Stöger entschärfen, danach flog vieles an seinem Tor vorbei. Auch Tabakovic, noch Doppeltorschütze beim 4:0 am Millerntor, blieb lange abgemeldet.
St. Pauli arbeitete sich in die Partie, gewann Zweikämpfe und kam mit zunehmender Spieldauer zu mehr Spielkontrolle. Kurz vor der Pause belohnten sich die Gäste: Kaars schloss einen Konter präzise ins lange Eck ab. Gladbach wirkte danach weiter gehemmt, auch das Fehlen von Florian Neuhaus machte sich spürbar bemerkbar.
Nach dem Seitenwechsel entwickelte sich ein Pokalfight mit hoher Intensität, aber wenig spielerischer Struktur. Honorats brillante Flanke brachte den Ausgleich, doch St. Pauli brach nicht ein – im Gegenteil. Oppie behielt im Strafraum die Nerven und entschied die Partie zugunsten der klaren Außenseiter.
OZD
OZD-Kommentar „Der Mut des Verzweifelten“
Dieser Sieg riecht nach mehr als nur einem Pokalerfolg – er riecht nach Trotz, Widerstand und purem Überlebensinstinkt. St. Pauli hat gezeigt, was passiert, wenn eine verzweifelte Mannschaft endlich wieder an sich glaubt: Sie spielt frei, mutig, giftig. Gladbach wurde nicht überrumpelt, sondern niedergearbeitet.
Dass ein Team mit neun Pleiten im Gepäck so auftritt, ist schwer erklärbar – und gleichzeitig die brutalste Wahrheit des Fußballs: Form ist vergänglich, Mentalität nicht. Genau diese Mentalität hatte Gladbach an diesem Abend nicht. Polanskis Mannschaft wirkte saturiert, beeindruckt vom eigenen Ballbesitz und erschreckend unpräzise. Wer so auftritt, fliegt im Pokal.
Für St. Pauli aber ist dieser Abend mehr als ein Coup. Er könnte ein Wendepunkt sein, wenn sie verstehen, warum sie gewonnen haben: Weil sie konsequent alles investiert haben – etwas, das in der Liga zuletzt fehlte. Die Frage ist nun: War es ein Ausreißer oder ein Neustart?
Mini-Infobox
St. Pauli nach 9 Liga-Pleiten erstmals wieder siegreich
Kaars und Oppie treffen für die Kiezkicker
Gladbach verliert erstes Pflichtspiel nach 5 Spielen
Pauli erstmals seit Jahren im Pokal-Viertelfinale
Torwart Vasilj: Pokalsieg an seinem 30. Geburtstag
OZD-Analyse
1. St. Paulis unerwartete Stärke
– a) Aggressivität und Zweikampfhärte als Basis –
– b) Mutige Konter trotz Krise –
– c) Wiederentdeckter Teamgeist als entscheidender Faktor –
2. Gladbachs enttäuschender Auftritt
– a) Zu wenig Kreativität ohne Neuhaus –
– b) Harmlosigkeit im letzten Drittel –
– c) Polanskis Team verliert nach Rückstand seine Struktur –
3. Was dieser Sieg für St. Pauli bedeutet
– a) Emotionaler Befreiungsschlag mit Wirkung auf die Liga –
– b) Hoffnung auf Vertrauensaufbau in der Mannschaft –
– c) Pokal als Chance, Saison-Narrativ neu zu schreiben –
Wer ist Eugen Polanski?
Eugen Polanski ist Cheftrainer von Borussia Mönchengladbach und übernahm
das Team nach Jahren als Co-Trainer. Er steht für pressingintensiven
Fußball und mutiges Umschaltspiel.
Was ist der DFB-Pokal?
Der DFB-Pokal ist der wichtigste nationale Pokalwettbewerb im deutschen
Fußball. Im K.-o.-Modus treten Teams aus Bundesliga bis Regionalliga
gegeneinander an. Überraschungen gehören zum festen Charakter des
Wettbewerbs.
Extra: St. Paulis Pokalhistorie – nur sieben Mal im Viertelfinale seit 1910
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.