Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im jahrelangen Streit um Riester-Verträge ein wegweisendes Urteil zugunsten der Versicherten gefällt. Eine fondsgebundene Riester-Rentenversicherung darf den Rentenfaktor in schlechten Kapitalmarktphasen zwar absenken, muss aber vertraglich ebenso klar zusichern, dass der Wert bei besseren Bedingungen wieder steigt. Fehlt diese Rückkehrmöglichkeit, ist die Klausel unwirksam – so urteilten die Richter in Karlsruhe am Mittwoch (Az. IV ZR 34/25).
Kern des Rechtsstreits waren Verträge, die der Versicherer Allianz zwischen Juni und November 2006 abgeschlossen hatte. Diese sahen vor, den Rentenfaktor zu reduzieren, wenn die Renditen der Kapitalanlagen dauerhaft so gering ausfallen, dass spätere Rentenzahlungen gefährdet seien. Genau darauf berief sich die Allianz, als sie in der langen Niedrigzinsphase die monatlichen Auszahlungen neu berechnete und nach unten anpasste.
Doch die Klausel enthielt keine Regelung für den gegenteiligen Fall – etwa steigende Märkte oder verbesserte Zinsbedingungen. Dieser fehlende Mechanismus macht die Bestimmung nach Ansicht des BGH unzulässig. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass eine Versicherung nicht einseitig die Leistung zu Ungunsten der Kundinnen und Kunden bestimmen dürfe.
Nach Einschätzung von Verbraucherschützern betrifft das Urteil weit mehr als nur die Allianz. Vergleichbare Formulierungen seien über Jahre hinweg branchenweit genutzt worden. Der Rentenfaktor – zentrale Stellschraube für die spätere Monatsrente – ist bei fondsgebundenen Modellen besonders sensibel, weil die Märkte die Auszahlungshöhe stark beeinflussen.
Der Staat fördert die Riester-Rente seit 2002, um private Altersvorsorge zu stärken. Doch immer wieder geraten Anbieter in Kritik, weil intransparent wirkende Klauseln zu Vorteilen für Unternehmen, aber zu finanziellen Risiken für Sparer führen können. Das aktuelle Urteil zwingt Versicherer nun, ihre Modelle klarer, fairer und bilanzneutraler zu gestalten. Für Kundinnen und Kunden könnte das langfristig höhere Transparenz und mehr Planungssicherheit bedeuten.
OZD

Dieses Urteil war überfällig. Zu lange konnten Versicherer ihre Kundinnen und Kunden mit Klauseln binden, die nur eine Richtung kannten: nach unten. Das Versprechen einer lebenslangen Rente darf kein Spielball schwankender Märkte sein, wenn der Vertrag die Chancen nicht ebenso berücksichtigt wie die Risiken. Dass ausgerechnet in der privaten Altersvorsorge Leistungskürzungen möglich waren, ohne die faire Gegenseite – steigende Faktoren – einzubauen, zeigt ein strukturelles Problem: Verträge, die sich wie Gummibänder zugunsten der Unternehmen dehnen. Der BGH setzt hier eine klare Grenze, die hoffentlich weit über Riester hinaus wirkt. Denn Vertrauen in Altersvorsorge entsteht nicht durch Marketingversprechen, sondern durch rechtliche Verbindlichkeit. Dieses Urteil schafft endlich ein Stück davon zurück.
Mini-Infobox
Urteil betrifft fondsgebundene Riester-Renten
Klauseln ohne Erhöhungsmechanismus künftig unwirksam
Allianz-Verträge 2006 standen im Fokus
Rentenfaktor bestimmt spätere Monatsrente
Verbraucherschützer: ähnliche Klauseln weit verbreitet
OZD-Analyse1. Bedeutung des Urteils
a) Der BGH schafft erstmals klare Leitlinien zur Anpassung von Rentenfaktoren. –
b) Versicherer müssen symmetrische Vertragsbedingungen schaffen. –
c) Signalwirkung für Branche und Millionen Riester-Verträge. –
2. Risiken fondsgebundener Riester-Modelle
a) Starke Abhängigkeit vom Kapitalmarkt. –
b) Kunden tragen Volatilität oft stärker als Versicherer. –
c) Transparenz und Nachvollziehbarkeit waren jahrelang mangelhaft. –
3. Konsequenzen für Verbraucher und Branche
a) Versicherer müssen Vertragswerke prüfen und anpassen. –
b) Kundinnen und Kunden können Erhöhungen künftig einklagen, wenn Märkte steigen. –
c) Politische Debatte um Zuverlässigkeit privater Altersvorsorge dürfte sich verschärfen. –
Erklärungen
Was ist die Riester-Rente?
Eine staatlich geförderte private Altersvorsorge, eingeführt 2002. Sie
kombiniert Eigenbeiträge, staatliche Zulagen und mögliche
Steuervorteile. Besonders beliebt bei Familien und Beschäftigten im
öffentlichen Dienst – zugleich aber oft wegen hoher Kosten und komplexer
Vertragsstrukturen kritisiert.
Was ist der Rentenfaktor?
Der Wert, der angibt, wie viel monatliche Rente pro 10.000 Euro
angespartem Kapital ausgezahlt wird. Steigt oder fällt dieser Faktor,
verändert sich die spätere Rente – bei fondsgebundenen Verträgen ist er
besonders volatil.
Bemerkenswert: Der BGH stellte klar, dass selbst eine mündliche oder schriftliche Zusicherung, den Rentenfaktor bei Rentenbeginn „nach oben anzupassen“, die fehlende vertragliche Regelung nicht ersetzt. Vertrag schlägt Versprechen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.