Die Pflege älterer Menschen in deutschen Heimen gleicht einem Flickenteppich – und zwar nicht im positiven Sinn. Was die neue AOK-Auswertung offenlegt, ist kein Betriebsunfall, sondern Ausdruck eines strukturellen Systemversagens: In welchem Bundesland ein Mensch alt wird, entscheidet offenbar mit darüber, wie sorgfältig und sicher er gepflegt wird.
Besonders alarmierend ist der Umgang mit Beruhigungs- und Schlafmitteln. Trotz der bekannten Risiken – Abhängigkeit, Sturzgefahr, Depressionen – erhalten über sieben Prozent der Pflegeheimbewohner solche Medikamente auf Dauer. In manchen Regionen wie dem Saarland sind es sogar mehr als doppelt so viele. Was dort medizinische Notwendigkeit heißt, würde in Sachsen-Anhalt als Überversorgung gelten.
Der Begriff "Versorgung" wirkt in diesem Kontext zynisch, wenn mehr als drei Viertel der Heimbewohner mit Diabetes keine augenärztliche Vorsorge erhalten. Das hat nichts mit individueller Entscheidung zu tun, sondern mit systemischen Versäumnissen und mangelnder Verbindlichkeit in der Prävention.
Auch das Sturzrisiko ist keine reine Altersfrage – sondern wird durch Medikamente weiter erhöht. Dass in Rheinland-Pfalz fast jeder Fünfte mit entsprechender Medikation im Krankenhaus landet, während es in Mecklenburg-Vorpommern nur 13 Prozent sind, sollte nicht als Erfolg der einen, sondern als Warnsignal für die andere Region verstanden werden.
Die Zahlen zeigen: Pflegequalität hängt in Deutschland nicht primär von medizinischem Wissen oder individuellem Engagement ab – sondern von Wohnort, Ressourcen, Personal und letztlich politischer Prioritätensetzung.
Es braucht eine radikale Umkehr: verpflichtende Mindeststandards, mehr Transparenz bei regionalen Versorgungsniveaus und eine Abkehr von reiner Kostenlogik. Pflege ist keine Frage der Statistik – sondern der Menschenwürde. Und die darf nicht vom Wohnort abhängen.
OZD
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