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Das Politischer Pulverfass-Moment: Union fordert Abschiebungen

Ein Jahr nach Assads Sturz fordert die Union Abschiebungen nach Syrien. Hilfsorganisationen halten dagegen – und warnen vor lebensgefährlichen Bedingungen für Rückkehrer.

Ein Jahr nach dem Sturz der Assad-Regierung wird die politische Debatte über Rückführungen syrischer Staatsbürger erneut mit großer Schärfe geführt. Besonders aus der Union mehren sich Stimmen, die eine Rückkehr in das vom Krieg verwüstete Land für möglich erklären. CDU-Innenpolitiker Alexander Throm argumentierte, die ursprünglichen Fluchtgründe seien „seit einem Jahr weggefallen“ und sprach von „hunderttausenden Syrern“ in Deutschland, die Bürgergeld bezögen. Für den Steuerzahler sei das ohne Schutzbedürfnis nicht zumutbar, sagte er. Gleichzeitig fordert Throm ein dauerhaftes Bleiberecht für „bestens integrierte“ Syrer, solange sie sich selbst versorgen können und nicht auf staatliche Leistungen angewiesen sind.

Doch Hilfsorganisationen zeichnen ein vollkommen anderes Bild der Lage vor Ort. „Die Vision eines sicheren Syriens hat leider wenig mit der aktuellen Realität zu tun“, warnte Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt. Bewaffnete Milizen kontrollierten große Teile des Landes, die wirtschaftliche Situation sei verheerend, und die humanitären Bedingungen ließen keinerlei sichere Lebensperspektive zu. Wer Syrien für sicher erkläre, blende die Realität aus, betonte Pruin.

Auch die SPD knüpft Rückführungen an strenge Voraussetzungen. Sonja Eichwede verwies auf das gewaltige Ausmaß der Zerstörung nach über einem Jahrzehnt Krieg. Eine Rückkehr müsse „im Einzelfall gefahrlos möglich“ sein. Gleichzeitig betonte sie, dass ein großer Teil der syrischen Bevölkerung in Deutschland „hervorragend integriert“ sei und zum Funktionieren des Gemeinwesens beitrage.

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch brachte die Idee von Erkundungsreisen ins Spiel, die Rückkehrwilligen Orientierung bieten könnten, ohne ihren Schutzstatus zu gefährden. Auch die Grünen sehen Populismus als Gefahr. Luise Amtsberg forderte flexiblere aufenthaltsrechtliche Lösungen und erinnerte daran, dass Deutschland seit 2011 rund eine Million syrische Geflüchtete aufgenommen habe – daraus erwachse Verantwortung.

Am Montag jährt sich der Sturz von Baschar al-Assad. Am 8. Dezember 2024 hatten die HTS-Miliz und verbündete Gruppen Damaskus erobert, Assad floh nach Russland, und Mohammed al-Scharaa wurde Übergangspräsident. Doch trotz des Machtwechsels bleiben Gewalt, Instabilität und Unsicherheit allgegenwärtig – Rückkehrer würden eine unberechenbare Situation vorfinden.

OZD


OZD-Kommentar: „Die gefährliche Illusion der einfachen Antworten“

Es klingt gut, es klingt entschlossen – und es klingt viel zu einfach. Die Forderungen nach Abschiebungen nach Syrien gerade einmal ein Jahr nach dem Sturz Assads sind politisches Muskelspiel in einer Lage, die alles andere als stabil ist. Wer jetzt behauptet, Syrien sei „sicher genug“, spielt mit Menschenleben.

Die Realität ist brutaler als jede Schlagzeile: Milizen beherrschen das Land, eine Übergangsregierung ringt um Kontrolle, und das Gewaltpotenzial ist unkalkulierbar. Wer die Rückkehr forcieren will, muss erklären, in welches Syrien genau Menschen abgeschoben werden sollen. Ein sicheres, funktionierendes Gemeinwesen ist in weiter Ferne.

Zugleich machen Union und Teile der Opposition Stimmung, während Hilfswerke, Sicherheitsanalysten und selbst die Bundesregierung warnen. Es ist richtig, über Rückkehrperspektiven zu sprechen – aber nicht über Rückkehrfantasien. Wer Verantwortung trägt, muss Realität sehen, nicht politische Punkte sammeln.



Entwicklung der syrischen Bevölkerung in Deutschland

2011: Vor Beginn der großen Fluchtbewegung lebten nur rund 30.000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland.

2013–2014: Mit dem eskalierenden Bürgerkrieg stieg die Zahl deutlich an, auf etwa 80.000 bis 120.000 Personen.

2015–2016: Während der großen Fluchtbewegung erreichte Deutschland einen massiven Zuzug. Ende 2016 waren bereits über 600.000 Syrerinnen und Syrer registriert.

2017–2018: Die Zahl stieg weiter, auf rund 700.000 bis 750.000 Personen.

2019–2020: Stabilisierung bei etwa 800.000 bis 820.000 Personen.

2021–2022: Weitere leichte Zunahme, auf knapp 900.000 Personen.

2023–2024: Laut offiziellen Angaben lebten Ende 2024 etwa 974.000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland.

2025: Die Zahl liegt bei rund 955.000 Personen, was weiterhin eine der größten Migrantengruppen darstellt.


Mini-Infobox

CDU fordert verstärkt Abschiebungen nach Syrien

Hilfsorganisationen warnen vor Gewalt, Instabilität und Armut

SPD verlangt strikte Einzelfallprüfungen

Viele Syrer gelten in Deutschland als hervorragend integriert

Ein Jahr nach Assads Sturz bleibt die Lage chaotisch


Etwa die Hälfte der in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrer ist inzwischen erwerbstätig. Nach aktuellen Daten der Bundesagentur für Arbeit lag die Erwerbstätigenquote Anfang 2025 bei rund 49 bis 52 Prozent.


OZD-Analyse

1. Politische Fronten in Deutschland
– a) Union drängt auf Rückführungen –
– b) SPD fordert Prüfungen nach Gefahrenlage –
– c) Grüne warnen vor populistischen Debatten –

2. Lage in Syrien nach Assads Sturz
– a) Machteinfluss bewaffneter Milizen –
– b) Wirtschaftlicher Kollaps und humanitäre Not –
– c) Übergangsregierung ohne landesweite Kontrolle –

3. Rückkehrperspektiven für Geflüchtete
– a) Hilfsorganisationen halten Rückkehr für gefährlich –
– b) Erkundungsreisen als möglicher Zwischenschritt –
– c) Integrationsgrad vieler Syrer spricht für differenziertes Vorgehen –


Erklärungen

Was ist die HTS-Miliz?
Die Hayat Tahrir al-Scham (HTS) ist ein islamistisches Bündnis aus mehreren Gruppen, das in den vergangenen Jahren große Teile Nordsyriens kontrolliert hat. Sie spielte eine zentrale Rolle bei der Eroberung von Damaskus und dominiert aktuell die Übergangsregierung.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.

Wer ist Alexander Throm?
Alexander Throm ist innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er gehört zu den stärksten Befürwortern restriktiver Asyl- und Rückführungspolitik in Deutschland.


OZD-Extras

Extra: Wie realistisch ist eine sichere Zone in Syrien?
Internationale Experten halten das Konzept derzeit für kaum umsetzbar. Regionale Machtkämpfe, Milizstrukturen und fehlende staatliche Kontrolle verhindern stabile Sicherheitsgarantien.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.