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Iran: Steinmeier warnt - Kommentar: Morallehrer

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft zum 80. Jahrestag der UNO zur Rückbesinnung auf das Völkerrecht auf. In einem Interview verteidigt er das Atomabkommen mit dem Iran – und warnt vor einer Weltordnung ohne Regeln.

In einem eindringlichen Appell hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für eine Stärkung des Multilateralismus und die Achtung des Völkerrechts geworben. Im „Interview der Woche“ des Deutschlandfunks sagte er: „Dem Konzept der Regellosigkeit muss etwas entgegengesetzt werden – Fairness, Vertrauen, Weltoffenheit und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit.“

Steinmeier sieht Deutschland dabei in besonderer Verantwortung. Die Bundesrepublik sei aus der Erfahrung zweier Weltkriege hervorgegangen und habe ihren Platz in der internationalen Gemeinschaft durch die Anerkennung des Völkerrechts gefunden. „Gerade wir sollten die Völkerrechtsordnung zum Teil unserer eigenen Identität erklären“, so der Bundespräsident.

Mit Blick auf den aktuellen Konflikt zwischen Israel und dem Iran bekräftigte Steinmeier, dass der Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangen dürfe. Er verteidigte das Atomabkommen von 2015, an dessen Aushandlung er als damaliger Außenminister beteiligt war. „Der Iran war vom Griff nach der Atombombe vermutlich nie weiter entfernt als nach dem Abschluss des Abkommens“, sagte er. Die einseitige Aufkündigung durch die US-Regierung unter Donald Trump habe das Abkommen nie zur vollen Entfaltung kommen lassen.

Der Bundespräsident kritisierte zudem, dass das Völkerrecht zunehmend nicht nur missachtet, sondern auch in Medien und Öffentlichkeit verächtlich gemacht werde. Angesichts der jüngsten Eskalation im Nahen Osten – mit israelischen Angriffen auf iranische Atomanlagen und einer anschließenden Waffenruhe – rief Steinmeier zur Rückkehr zu internationalen Institutionen wie der UNO auf.


OZD-Kommentar - Morallehrer

Steinmeiers Worte sind Mahnung und Selbstvergewisserung zugleich. In einer Welt, in der Machtpolitik wieder Konjunktur hat, erinnert er an die Kraft des Rechts – und an Deutschlands historische Verantwortung, es zu verteidigen. Das ist sicherlich richtig, aber:

Frank-Walter Steinmeier spricht gern – und oft. Mit gewählter Sprache, historischem Bewusstsein und diplomatischem Feinschliff. Doch wer genau hinhört, erkennt einen Tonfall, der zunehmend belehrend wirkt – zumindest auf jene, die in seinen Reden weniger staatsmännische Orientierung, als vielmehr moralischen Zeigefinger hören.

Wenn der Bundespräsident im Deutschlandfunk für Multilateralismus wirbt, das Völkerrecht zur Identität erhebt und die internationale Gemeinschaft an ihre Pflichten erinnert, wirkt das auf viele wie ein notwendiger Appell in turbulenten Zeiten. Auf andere hingegen wie das wiederkehrende Echo eines Staatsoberhaupts, das sich mit moralischer Autorität mehr auf dem Weltforum als auf dem Boden politischer Realität verortet.

Dass Steinmeier das Atomabkommen mit dem Iran verteidigt, ist nachvollziehbar – er war daran beteiligt. Doch wenn er die Aufkündigung durch andere als Symbol mangelnder Ernsthaftigkeit brandmarkt, klingt es, als hätte allein der diplomatische Idealismus versagt. Die komplexe Gemengelage – Atombedrohung, Regimekritik, internationale Machtkämpfe – lässt sich nicht allein mit moralischer Rhetorik einfangen.

Was in weiten Teilen der Gesellschaft Respekt verdient – seine moralisch fundierte Amtsführung – wird in anderen Kreisen als „Oberlehrermentalität“ wahrgenommen: als ein Deutschland, das mahnend auf der Weltbühne steht, während es außenpolitisch selbst oft zögert. Die große Frage lautet daher: Wann wird aus moralischem Anspruch wirksame Außenpolitik? ozd

 



OZD-Analyse – UNO als Ordnungsrahmen: Trotz Reformbedarf bleibt sie das zentrale Forum für globale Konfliktlösung. – Atomabkommen als Präzedenzfall: Steinmeier sieht darin ein Beispiel für ernsthafte Diplomatie – und für die Folgen ihrer Missachtung. – Völkerrecht im Diskurs: Die politische und mediale Relativierung des Rechtsstaatsprinzips gefährdet internationale Stabilität.


Erklärungen – Multilateralismus: Internationale Zusammenarbeit mehrerer Staaten zur Lösung globaler Probleme. – Atomabkommen 2015 (JCPOA): Vertrag zwischen Iran und Weltmächten zur Begrenzung des iranischen Atomprogramms. – Völkerrecht: Gesamtheit der Regeln, die das Verhältnis zwischen Staaten regeln – etwa in Kriegsführung, Diplomatie und Menschenrechten.


Biographien und Institutionen – Frank-Walter Steinmeier: Bundespräsident seit 2017, zuvor Außenminister, gilt als erfahrener Diplomat und Verfechter internationaler Ordnung. – UNO (Vereinte Nationen): 1945 gegründet, zentrale Institution für Frieden, Sicherheit und internationale Zusammenarbeit. – JCPOA: Joint Comprehensive Plan of Action – internationales Atomabkommen mit dem Iran, 2018 von den USA aufgekündigt.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP




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