Der japanische Tee-Großmeister Sen Genshitsu, weltbekannt für seine Teezeremonien und seinen Einsatz für den Frieden, ist nach Berichten japanischer Medien im Alter von 102 Jahren gestorben. Der Fernsehsender NHK und die Zeitung „Yomiuri Shimbun“ meldeten am Donnerstag seinen Tod. Mit seinen Auftritten und seiner Botschaft, dass eine Schale Tee den Geist zur Ruhe bringe, wurde Genshitsu zu einer internationalen Symbolfigur kultureller Diplomatie.
„Eine Schale Tee macht den Geist sehr friedlich. Wenn alle friedlich sind, wird es keinen Krieg geben“, sagte er noch 2023 in einem Interview mit NHK. Zu den Persönlichkeiten, denen er Tee servierte, gehörten unter anderem die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die britische Königin Elisabeth II. und der letzte sowjetische Präsident Michail Gorbatschow. Auch Henry Kissinger und Chinas ehemaliger Präsident Hu Jintao zählten zu seinem Freundeskreis.
Geboren 1923 in Kyoto, wurde Genshitsu während des Zweiten Weltkriegs zum Kamikaze-Piloten ausgebildet, kam jedoch nie zum Einsatz. Später trat er einem Zen-Orden bei und führte bereits während seiner Militärzeit Teezeremonien für seine Kameraden durch.
1964 übernahm er nach dem Tod seines Vaters den Titel des Großmeisters der Urasenke-Schule für Teezeremonien als Sen Soshitsu XVI. Wegen seiner zahlreichen internationalen Reisen wurde er bald als „Fliegender Großmeister“ bekannt. 2002 übergab er die Leitung an seinen Sohn, blieb aber weiterhin aktiv und hielt bis zu seinem Tod zahlreiche kulturelle und politische Beraterposten.
Für sein Engagement erhielt er hohe Auszeichnungen, darunter 1997 den japanischen Kulturorden und 2020 den Orden der französischen Ehrenlegion. Als Unesco-Botschafter wirkte er unermüdlich daran, die Teezeremonie als Mittel der Verständigung und des Friedens weltweit bekannt zu machen.
OZD
OZD-Kommentar:
Der Tod von Sen Genshitsu markiert nicht nur das Ende einer Ära in der japanischen Teekunst, sondern auch den Verlust eines Mannes, der die seltene Gabe besaß, Kultur zu Diplomatie zu machen. In einer Zeit, in der internationale Politik oft von Härte und Misstrauen geprägt ist, zeigte er, dass auch Gesten der Ruhe und Achtsamkeit Einfluss haben können. Sein Leben ist Mahnung und Inspiration zugleich – dass wahre Friedensarbeit nicht in Konferenzsälen beginnt, sondern im zwischenmenschlichen Dialog, manchmal schlicht bei einer Schale Tee.
OZD-Analyse:
Kulturelle Bedeutung
a) Sen Genshitsu verband die traditionelle Teezeremonie mit moderner Friedensdiplomatie.
b) Seine Arbeit brachte japanische Kultur in höchste politische und gesellschaftliche Kreise.
c) Die Urasenke-Schule wurde unter seiner Führung international bekannt.
Historische Dimension
a) Vom Kamikaze-Piloten in Ausbildung zum Friedensbotschafter – ein seltener Lebenswandel.
b) Symbolfigur für Japans kulturelle Selbstverortung nach dem Zweiten Weltkrieg.
c) Nutzung traditioneller Rituale als Mittel der Verständigung in internationalen Beziehungen.
Vermächtnis
a) Förderung interkultureller Begegnungen durch die Teezeremonie.
b) Träger hochrangiger Auszeichnungen in Japan und im Ausland.
c) Einflussreiches Beispiel für „weiche Macht“ in der Diplomatie.
Wer ist Sen Genshitsu?
Sen Genshitsu, geboren 1923 in Kyoto und gestorben am 14. August 2025 im Alter von 102 Jahren, war einer der bedeutendsten japanischen Teemeister und ein weltweit geachteter Friedensbotschafter. Als ältester Sohn des 14. Oberhaupts der Urasenke-Schule war sein Weg früh vorgezeichnet. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er als Kamikaze-Pilot ausgebildet, kam jedoch nie zum Einsatz. Schon damals servierte er Tee für seine Kameraden – ein Zeichen für seine tiefe Verbindung zur Teezeremonie selbst in Zeiten des Krieges.
Nach dem Krieg trat er dem Zen-Orden bei und widmete sich dem „Weg des Tees“ (chadō). 1964 übernahm er die Leitung der traditionsreichen Urasenke-Schule und baute deren internationale Präsenz aus. 2002 übergab er die Leitung an seinen Sohn und trug fortan den Ehrennamen Sen Genshitsu.
Sein Lebensmotto lautete: „Peacefulness through a Bowl of Tea“ – Frieden durch eine Schale Tee. Er zelebrierte Teezeremonien an symbolträchtigen Orten wie dem Vatikan, den Vereinten Nationen und dem US-Kongress. Zu seinen Gästen zählten unter anderem Angela Merkel, Queen Elizabeth II., Michail Gorbatschow, Henry Kissinger und Hu Jintao. Sen Genshitsu bereiste über 70 Länder und gründete weltweit Urasenke-Zweigestellen, um die Philosophie des Tees als Brücke zwischen Kulturen zu verbreiten.
Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den japanischen Kulturorden im Jahr 1997 und den französischen Orden der Ehrenlegion im Jahr 2020.
Sen Genshitsu verstand die Teezeremonie nicht nur als kulturelles Ritual, sondern als Medium für Völkerverständigung. Sein Leben steht exemplarisch für eine Generation, die aus Kriegserfahrung heraus den Frieden suchte – mit Stille, Achtsamkeit und Respekt.
Die japanische Teezeremonie,
auch Chadō („Weg des Tees“) genannt, ist weit mehr als das bloße Zubereiten und Trinken von Tee. Sie ist ein hoch ritualisiertes kulturelles Ereignis, das tief in der Zen-Philosophie verwurzelt ist und Achtsamkeit, Respekt und Harmonie fördert. Jeder Handgriff, jede Bewegung und jedes Utensil hat eine Bedeutung und folgt festen Regeln. Ziel ist es, den Alltag hinter sich zu lassen und in einem meditativen Zustand ganz in der Zeremonie aufzugehen.
Im Zentrum der Teezeremonie stehen vier Prinzipien, die aus dem Zen-Buddhismus stammen und das Fundament des Chadō bilden:
Wa (和) – Harmonie: Sie steht für Ausgeglichenheit, Frieden und das Gleichgewicht zwischen Gastgeber, Gast und Umgebung.
Kei (敬) – Respekt: Achtung vor anderen, vor der Natur und vor den verwendeten Gegenständen. Jeder Teilnehmer begegnet dem Moment mit Ehrfurcht.
Sei (清) – Reinheit: Sowohl äußere Sauberkeit als auch innere Klarheit. Die Reinigung der Utensilien ist zugleich ein Akt der geistigen Vorbereitung.
Jaku (寂) – Stille: Innere Ruhe und Gelassenheit. Sie ist das Ziel der Zeremonie und Ausdruck einer tiefen Verbindung mit dem Augenblick
Ablauf einer formellen Teezeremonie (Chaji)
Begrüßung und Eintritt Die Gäste betreten das Teeraumgelände, reinigen sich symbolisch an einem Steinbecken (tsukubai) und betreten das Teezimmer in Stille. Der Gastgeber begrüßt sie mit einer Verbeugung.
Kaiseki-Mahlzeit Eine mehrgängige, saisonale Mahlzeit wird gereicht. Sie dient der Vorbereitung auf den Tee und symbolisiert Gastfreundschaft.
Kohlezeremonie (Sumidemae) Der Gastgeber legt frische Holzkohle in den Feuerofen, um das Wasser für den Tee zu erhitzen. Dies geschieht mit großer Präzision und Eleganz.
Pause (Nakadachi) Die Gäste verlassen kurz den Raum, während der Gastgeber die Utensilien für den Tee vorbereitet.
Zubereitung des dicken Tees (Koicha) Der Höhepunkt der Zeremonie: Der Gastgeber bereitet einen besonders starken Matcha-Tee zu, der aus mehreren Portionen zubereitet und in einer Schale gemeinsam getrunken wird. Dies erfordert höchste Konzentration und Technik.
Zubereitung des dünnen Tees (Usucha) Nach dem Koicha wird ein leichterer Tee für jeden Gast einzeln zubereitet. Die Atmosphäre ist nun entspannter.
Verabschiedung Die Gäste danken dem Gastgeber, betrachten die verwendeten Utensilien und verlassen den Raum in Stille.
Bedeutende Utensilien und ihre Symbolik
Chawan (Teeschale): Das zentrale Gefäß. Jede Schale hat eine eigene Geschichte, Form und Bedeutung. Gäste drehen sie beim Trinken, um Respekt zu zeigen.
Chasen (Bambusbesen): Wird verwendet, um den Matcha schaumig zu schlagen. Handgefertigt und empfindlich.
Chashaku (Teelöffel): Ein kleiner Bambuslöffel, mit dem der Tee dosiert wird. Seine Form ist schlicht, aber bedeutungsvoll.
Natsume oder Chaire (Teedose): Behälter für den Matcha. Die Wahl hängt von der Art des Tees ab (dünn oder dick).
Fukusa (Seidentuch): Wird zur Reinigung der Utensilien verwendet. Die Art, wie es gefaltet und geführt wird, ist Teil der Zeremonie.
Kama (Eisenkessel): In ihm wird das Wasser erhitzt. Sein Klang beim Kochen ist Teil der Atmosphäre.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.