In der Türkei hat am Montag die heikle Gerichtsverhandlung gegen die Oppositionspartei CHP begonnen. Parteichef Özgür Özel könnte nach Vorwürfen des Stimmenkaufs bei der Wahl der Parteispitze abgesetzt werden. Beobachter sehen in dem Verfahren eine gezielte Attacke der islamisch-konservativen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Die CHP hatte bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr deutliche Erfolge erzielt und Erdogans AKP geschlagen. Seither verstärkten regierungstreue Staatsanwälte den Druck. Der prominenteste Fall ist die Festnahme von Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu im März, der als größter Rivale Erdogans gilt. Seine Inhaftierung löste die größten Proteste seit den Gezi-Unruhen 2013 aus.
Im aktuellen Verfahren wirft die Staatsanwaltschaft Özel und seinem Vorstand Stimmenkauf beim Parteitag 2023 vor, als er mit Unterstützung Imamoglus den damaligen Parteichef Kemal Kilicdaroglu ablöste. Sollte das Gericht die Wahl für ungültig erklären, drohen Özel die Absetzung und eine Rückkehr Kilicdaroglus an die Spitze.
Der Andrang zum Prozessauftakt war enorm: Der Gerichtssaal in Ankara war überfüllt, einige Juristen kamen gar nicht hinein. „Millionen schauen Ihnen zu, Euer Ehren. Ihre Entscheidung ist sehr wichtig“, appellierte CHP-Anwalt Ugur Poyraz an den Richter. Vor dem Gebäude sicherte ein massives Polizeiaufgebot die Verhandlung. Am Vorabend hatten zehntausende Menschen in Ankara demonstriert, um Solidarität mit der CHP zu zeigen.
OZD
OZD-Kommentar
Dieses Verfahren ist mehr als ein innerparteilicher Streit – es ist ein Machtpoker um die politische Zukunft der Türkei. Erdogan hat erkannt, dass die CHP mit Imamoglu und Özel echte Bedrohungen für seine Machtbasis darstellt. Mit dem Vorwurf des Stimmenkaufs wird ein juristischer Hebel genutzt, um die Opposition zu schwächen. Sollte Özel tatsächlich abgesetzt werden, wäre das ein schwerer Schlag gegen die Demokratie in der Türkei. Doch zugleich könnte dieser Eingriff das Gegenteil bewirken: Eine neue Protestwelle, die Erdogan gefährlich werden könnte. Prognose: Das Verfahren wird die Türkei in eine neue Phase politischer Instabilität stürzen.
Lesermeinungen
„Erdogan will seine Macht mit allen Mitteln sichern – das ist ein Schauprozess.“ (Leyla K., Berlin)
„Wenn die Justiz so missbraucht wird, ist Demokratie nur noch Fassade.“ (Thomas M., Köln)
„Die CHP muss standhaft bleiben, sonst wird die Türkei endgültig zur Diktatur.“ (Aylin S., Hamburg)
OZD-Analyse
Das Verfahren
– Vorwurf: Stimmenkauf bei der CHP-Vorstandswahl 2023
– Mögliche Folgen: Absetzung von Özel, Rückkehr Kilicdaroglu
– Politische Brisanz: Regierung nutzt Justiz als Hebel
Die Protagonisten
a) Özgür Özel: Neuer CHP-Chef, enger Verbündeter Imamoglus
b) Ekrem Imamoglu: Bürgermeister von Istanbul, Symbolfigur der Opposition
c) Recep Tayyip Erdogan: Präsident, nutzt Justiz und Polizei, um Gegner zu schwächen
Die Dynamik
– Polizei mit Großaufgebot in Ankara
– Massenproteste am Vorabend
– Überfüllter Gerichtssaal, hoher Symbolwert des Prozesses
Prognose
– Ein Schuldspruch gegen Özel würde den politischen Konflikt weiter eskalieren
– Mögliche neue Protestwelle mit landesweiter Wirkung
– Erdogan riskiert, dass die Justizkrise seine Macht langfristig untergräbt
OZD-Erklärungen
Was ist die CHP?
Die Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei) ist die älteste politische Partei der Türkei, gegründet von Mustafa Kemal Atatürk. Sie gilt als linksnationalistisch, laizistisch und ist die wichtigste Oppositionspartei gegen Erdogans AKP.
Wer ist Özgür Özel?
Özgür Özel ist seit 2023 Vorsitzender der CHP. Der 1974 geborene Politiker gilt als Reformer und enger Vertrauter von Ekrem Imamoglu. Mit seiner Wahl löste er den langjährigen Parteichef Kemal Kilicdaroglu ab.
Wer ist Ekrem Imamoglu?
Imamoglu ist seit 2019 Bürgermeister von Istanbul und gilt als aussichtsreichster Gegner Erdogans. Seine Popularität macht ihn zum Symbol der Opposition, weshalb seine Inhaftierung international für Empörung sorgte.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.