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Merz fordert Bevorzugung heimischer Stahlhersteller – Abkehr vom Dogma der offenen Märkte (Kommentar)

Bundeskanzler Friedrich Merz will europäischen und deutschen Stahl bevorzugen. Ein Tabubruch – aber womöglich die letzte Chance für die Branche.

Beim Stahlgipfel im Kanzleramt hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) einen Kurswechsel in der deutschen Industriepolitik angedeutet. Er sprach sich erstmals klar für eine Bevorzugung heimischer Stahlhersteller aus. „Europäischer Stahl und auch deutscher Stahl sollen präferiert verwendet werden“, sagte Merz am Donnerstag nach Gesprächen mit Vertretern von Industrie und Gewerkschaften.

Der Kanzler will sich nun auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass entsprechende Regelungen rechtlich ermöglicht werden. Damit vollzieht Merz eine bemerkenswerte Abkehr vom bisherigen Kurs der Bundesregierung, die sich lange gegen protektionistische Maßnahmen gewehrt hatte.

Zur Begründung erklärte Merz, die Zeiten offener Märkte und fairen Wettbewerbs seien „leider vorbei“. Spätestens seit den von den USA unter Donald Trump verhängten Strafzöllen auf Stahlimporte habe sich die globale Lage geändert. „Deswegen müssen wir unsere Märkte schützen. Deswegen müssen wir unsere Hersteller schützen“, so der Kanzler.

Die deutsche Stahlindustrie kämpft seit Jahren mit billiger Konkurrenz aus Asien, hohen Energiepreisen und den enormen Kosten der Transformation zu grünem Stahl. Beim Gipfel ging es daher nicht nur um Zukunftsstrategien, sondern auch um industriepolitische Grundsatzfragen: Wie viel Markt darf, wie viel Schutz muss sein?

Merz’ Vorstoß markiert einen Wendepunkt. Was lange als wirtschaftspolitisches Tabu galt, wird nun zur politischen Notwendigkeit. Wenn Europa nicht lernt, seine Schlüsselindustrien zu schützen, droht der Kontinent seine industrielle Basis zu verlieren – und mit ihr hunderttausende Arbeitsplätze.

Kommentar:
Merz sagt, was viele Industrievertreter seit Jahren denken: Die Zeit des naiven Freihandels ist vorbei. Doch zwischen Anspruch und Realität liegt Brüssel – und ein dichtes Geflecht europäischer Wettbewerbsregeln.

Die Forderung nach einer „Stahlpräferenz“ ist richtig, aber sie kommt spät. Die USA und China betreiben seit Jahren knallharte Industriepolitik, während Europa weiter von Marktidealen träumt. Wer ernsthaft „grünen Stahl“ will, muss ihn auch politisch und wirtschaftlich absichern – durch Quoten, öffentliche Aufträge und gezielte Förderung.

Deutschland steht an einem Scheideweg: Will es Industrieland bleiben, braucht es den Mut zu strategischem Selbstschutz. Merz hat diesen Schritt zumindest rhetorisch getan – jetzt muss er ihn auch praktisch gehen.

OZD


Alle Angaben ohne Gewähr.
Bild: AFP