Nach einer monatelangen Serie von Bombendrohungen hat das Bundeskriminalamt eine mutmaßlich dafür verantwortliche Gruppe junger Täter ins Visier genommen. Am Dienstag durchsuchten Ermittler Wohnungen von vier teilweise minderjährigen Beschuldigten in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen sowie die eines jugendlichen Zeugen in Sachsen-Anhalt. Die Verdächtigen sollen in Hunderten Fällen E-Mails verschickt haben, in denen sie Bombenanschläge auf Schulen, Bahnhöfe, Einkaufszentren oder Behörden vortäuschten.
Die Drohschreiben hatten bundesweit massive Folgen: ganze Schulen wurden geräumt, Bahnverkehr unterbrochen, Medienhäuser wie der Mitteldeutsche Rundfunk in Magdeburg evakuiert, Einkaufszentren lahmgelegt. Auch in Österreich kam es zu vergleichbaren Falschmeldungen. Die Ermittler sprechen von „hunderten Fällen“, die zum Teil großangelegte Polizeieinsätze erforderlich machten – ohne dass jemals eine reale Gefahr bestand.
Um die Wirkung zu maximieren, mischten die mutmaßlichen Täter islamistische Anspielungen in ihre Botschaften. Eine religiöse Motivation habe sich allerdings nicht belegen lassen, betonte das BKA. Alle Drohungen seien frei erfunden gewesen.
Bei den Razzien beschlagnahmten Ermittler elektronische Geräte und Datenträger. Festnahmen gab es zunächst keine. Die Identifizierung der jungen Verdächtigen gilt als wichtiger Durchbruch – doch die Ermittlungen zu Struktur und Motivation der Gruppe dauern an.
OZD
OZD-KommentarEs ist ein erschütterndes Bild: Jugendliche versetzen eine ganze Republik in Angst und Chaos – aus purer Lust an der Zerstörung oder digitaler Selbstüberschätzung. Das BKA stoppt eine Gruppe, deren Taten nicht nur Ressourcen banden, sondern Lehrer, Eltern, Schüler und Pendler in ständige Alarmbereitschaft versetzten.
Der Fall offenbart ein Sicherheitsproblem unserer Zeit: digitale Radikalisierung ohne Ideologie, nur getrieben von Aufmerksamkeit, Machtfantasien und dem Gefühl, anonym unantastbar zu sein. Dass Minderjährige hinter professionell wirkenden Drohserien stehen, zeigt, wie dringend Schulen, Familien und Behörden digitale Präventionsarbeit verstärken müssen. Wenn Kinder lernen, dass eine gefälschte Drohmail Hunderte Polizisten bindet, wird der Rechtsstaat zur Bühne.
Es ist höchste Zeit, diesem Trend gezielt entgegenzutreten – sonst stehen die nächsten Evakuierungen längst vor der Tür.
Mini-InfoboxÜber 100 Bombendrohungen 2024 bundesweit
Schulen, Bahnhöfe, Einkaufszentren und Medienhäuser betroffen
Tätergruppe: überwiegend minderjährig
„Islamistische“ Hinweise in Mails, jedoch keine echte Motivation
BKA beschlagnahmt zahlreiche digitale Beweismittel
OZD-AnalyseOZD-Analyse
Ausmaß der Bedrohungslage
– Die enorme Zahl der Drohungen zeigt eine gewachsene digitale Gefahrenquelle.
– Einsatzkosten und Personalbindung erreichten mehrfach kritische Dimensionen.
– Evakuierungen an laufenden Schultagen generierten reale Panik und seelische Belastungen.
Täterprofil und Motivation
– a) Minderjährige Täter –
– Eine neue Generation technisch versierter Jugendlicher nutzt digitale Anonymität als Spielplatz.
– b) Fehlende ideologische Grundlage –
– „Islamistische“ Begriffe dienten nur als Verstärker – ein Zeichen für
gefährliche Effekte von Online-Radikalisierungsästhetiken.
– c) Gruppendynamik –
– Überregionale Struktur spricht für digitale Vernetzung über Darknet, Chats oder Gaming-Communities.
Sicherheits- und Präventionsbedarf
– Schulen benötigen klare Kommunikationswege und digitale Kompetenzprogramme.
– Polizeibehörden brauchen Ressourcen zur schnellen Attribution digitaler Straftaten.
– Politik und Justiz müssen prüfen, ob Strafrahmen und Jugendhilfestrukturen ausreichend abschreckend wirken.
Das Bundeskriminalamt ist die
zentrale Ermittlungsbehörde des Bundes. Es unterstützt Länderpolizeien,
führt eigene Ermittlungen bei schweren und länderübergreifenden
Delikten, betreibt Gefahrenabwehr und koordiniert internationale
Polizeiarbeit.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
Extra: Warum Falschmeldungen heute gefährlicher sind als früher
Moderne Drohungen verbreiten sich digital in Sekunden, lösen sofort
Massenreaktionen aus und können ganze Städte lähmen. Der Aufwand für
Behörden steht in krassem Gegensatz zur Leichtigkeit, mit der Täter
solche Mails verschicken – ein Dilemma moderner Sicherheitspolitik.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.