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Ein Armutszeugnis: Jedes 11 Kind lebt in Deutschland in Armut auf

Ein neuer Unicef-Bericht zeichnet ein erschütterndes Bild: 1,3 Millionen Kinder in Deutschland leben in alltäglicher Armut. Ihnen fehlen oft warme Mahlzeiten, Lernräume und soziale Teilhabe – mit dramatischen Folgen für Bildung und Gesundheit.

Deutschland – eines der reichsten Länder der Welt – hat ein Armutsproblem, das viele nicht sehen wollen. Laut dem neuen Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef leben rund 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche, also neun Prozent der Unter-18-Jährigen, in alltäglicher Armut. Betroffen sind jene, die „nicht genug Raum, Wärme oder Perspektive“ haben – Kinder, denen ein Platz zum Lernen, gesunde Ernährung oder soziale Teilhabe fehlen.

Der Bericht zeigt erschreckend deutlich, wie Armut in Deutschland ganze Lebensläufe prägt. Kindern aus armen Familien fehlt oft ein ruhiger Ort für Hausaufgaben, ein zweites Paar Schuhe oder eine ausreichend beheizte Wohnung. Bei diesen Kriterien liegt Deutschland im europäischen Vergleich hinter Ländern wie Finnland, Norwegen oder Portugal – ein deutliches Armutszeugnis.

Besonders alarmierend: Der Abstand zwischen privilegierten und benachteiligten Kindern wächst. Laut Unicef können immer mehr Kinder nicht richtig lesen – rund 25 Prozent, fünf Prozentpunkte mehr als noch 2018. Kinder in Armut lesen nicht nur seltener Bücher, sie treiben auch weniger Sport, treffen seltener Freunde und fühlen sich häufiger isoliert.


Die Zahlen zeigen ein Land der Ungleichheit:
– Nur 72 Prozent der Eltern in armen Familien lesen ihren Kindern regelmäßig vor, verglichen mit 85 Prozent im Durchschnitt.
44 Prozent der armutsgefährdeten Kinder leben in überfüllten Wohnungen.
– Rund 1,9 Millionen Kinder sind auf staatliche Grundsicherung angewiesen.


Auch die seelische Gesundheit ist in Gefahr. 40 Prozent der 11- bis 15-Jährigen klagen über regelmäßige Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Bauchschmerzen – ein Anstieg um 16 Prozentpunkte seit 2014. Mädchen aus armen Familien sind besonders betroffen: Ihr psychisches Wohlbefinden liegt laut Unicef bei einem Wert von 51 auf einer Skala bis 100, kaum oberhalb der Depression-Schwelle.

Die soziale Kluft spiegelt sich auch in den Schulen wider. Nur 26 Prozent der 15-jährigen Mädchen fühlen sich von ihren Lehrkräften gut unterstützt – in Norwegen sind es mehr als doppelt so viele. Einsamkeit ist ein weiteres Symptom dieser Ungleichheit: Fast jedes dritte 15-jährige Mädchen aus armen Familien fühlt sich „meist oder immer“ einsam.

„Der Bericht macht deutlich, wie tief Armut das Leben von Kindern prägt – in Bildung, Gesundheit und Beziehungen“, warnt Sabine Walper, Direktorin des Deutschen Jugendinstituts. „Wir brauchen endlich Strukturen, die allen Kindern faire Chancen geben – unabhängig von Herkunft oder Einkommen.“

OZD


OZD-Kommentar: Die bittere Wahrheit 
Deutschland spricht von Chancengleichheit, doch die Realität zeigt ein anderes Gesicht: Armut ist kein Randphänomen, sie wohnt mitten unter uns – in Klassenzimmern, Kinderzimmern und kalten Wohnungen. Unicef hält dem Land einen Spiegel vor, den die Politik zu lange ignoriert hat. Ein Land, das Milliarden in Rüstungsprojekte steckt, aber zulässt, dass Kinder frieren, hungern oder sich einsam fühlen, verliert moralische Glaubwürdigkeit. Bildungsgerechtigkeit darf kein Schlagwort bleiben – sie ist die soziale Verteidigungslinie einer Demokratie. Und die steht auf der Kippe.


Mini-Infobox:
Betroffene: 1,3 Mio. Kinder und Jugendliche in Deutschland (9 %)
Armutsfolgen: Fehlende Lernräume, unzureichende Ernährung, gesundheitliche Beschwerden
Lesekompetenz: 25 % der Kinder haben Schwierigkeiten beim Lesen
Gesundheit: 40 % leiden regelmäßig unter Schmerzen oder Schlafproblemen
Quelle: Unicef-Bericht 2025


OZD-Analyse

Strukturelle Ursachen der Kinderarmut
a) Deutschland investiert vergleichsweise wenig in präventive Familienförderung.
b) Das Bildungssystem verstärkt soziale Ungleichheiten statt sie auszugleichen.
c) Regionale Unterschiede – besonders zwischen Ost und West – vertiefen den sozialen Graben.

Langfristige Folgen
– Kinderarmut führt zu geringeren Bildungschancen und niedrigeren Einkommen im Erwachsenenalter.
– Psychische Belastungen manifestieren sich früh – Depressionen und soziale Isolation nehmen zu.
– Der soziale Aufstieg wird für viele faktisch unmöglich.

Lösungsansätze laut Experten
– Ausbau von Ganztagsschulen und frühkindlicher Förderung.
– Einführung einer Kindergrundsicherung mit tatsächlicher Armutsvermeidung.
– Investitionen in Bildungs- und Freizeitangebote, die soziale Teilhabe sichern.


Was ist Unicef?
Unicef (United Nations Children’s Fund) ist das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Es wurde 1946 gegründet und setzt sich weltweit für Kinderrechte, Bildung, Gesundheit und Schutz von Minderjährigen ein. In Deutschland arbeitet Unicef auch politisch, um auf soziale Ungleichheiten hinzuweisen.

Was ist das Deutsche Jugendinstitut?
Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) ist eines der größten sozialwissenschaftlichen Forschungszentren Europas. Es untersucht Lebensbedingungen junger Menschen und berät Politik und Gesellschaft zu Themen wie Bildung, Familie und Chancengleichheit.


Fakt am Rande: Deutschland liegt laut OECD bei den Bildungsausgaben pro Schüler deutlich unter dem EU-Durchschnitt – obwohl das Land zu den wirtschaftsstärksten Nationen Europas gehört.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.