Die deutsche Industrie hat einen dramatischen Appell an die Bundesregierung gerichtet und die Wirtschaftslage als „historisch tiefste Krise seit Bestehen der Bundesrepublik“ bezeichnet. Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), warnte am Dienstag vor einem „freien Fall“ des Wirtschaftsstandorts und einem drohenden Verlust von Substanz. Für dieses Jahr rechnet der Verband mit einem Produktionseinbruch um zwei Prozent – das vierte Jahr in Folge, in dem die Industrie schrumpft.
Dabei war der Start ins Jahr 2025 zunächst überraschend positiv verlaufen. Doch schon ab dem zweiten Quartal drehte sich das Bild wieder: Die Produktion rutschte deutlich ab, der Negativtrend beschleunigte sich in der zweiten Jahreshälfte weiter. Laut BDI sank die Industrieproduktion in den ersten neun Monaten im Vergleich zum Vorjahr um 1,5 Prozent.
Besonders alarmierend: Während Deutschland weiter abrutscht, stabilisieren sich andere Märkte. In der Europäischen Union sieht der BDI die Industrierezession als beendet und korrigierte seine Prognose von minus einem Prozent auf ein Plus von einem Prozent. Schwellenländer verzeichneten ein deutliches Wachstum, und selbst die entwickelten Volkswirtschaften kehrten nach zwei Verlustjahren in die Produktionserholung zurück. Weltweit stieg der industrielle Ausstoß zwischen Januar und August um drei Prozent.
Für Leibinger ist das deutsche Problem daher keine kurzfristige Schwäche, sondern ein gefährlicher Trend. Investitionen gingen zurück, bürokratische Hürden lähmten die Unternehmen, und die Bundesregierung setze aus Sicht der Industrie falsche Prioritäten. „Konsumtive Ausgaben“ dominierten den Haushalt, während Schlüsselinvestitionen auf der Strecke blieben. Das Sondervermögen müsse transparent eingesetzt werden, um Wachstum zu stärken, fordert der BDI.
Die Industrie drängt auf eine „wirtschaftspolitische Wende“ mit Strukturreformen, Bürokratieabbau und einer klaren Strategie für Wettbewerbsfähigkeit. Ohne entschlossenes Handeln drohten weitere Arbeitsplatzverluste und ein langfristiger Schaden für den Industriestandort Deutschland.
OZD
OZD-Kommentar „Deutschlands Industrie schlägt SOS – und Berlin schweigt“
Dieser Appell ist kein Routineklagen, sondern ein Hilferuf. Wenn sich Europas größte Volkswirtschaft im „freien Fall“ befindet, wie der BDI warnt, dann brennt der Motorraum dieses Landes lichterloh. Doch während die Produktion seit vier Jahren schrumpft, wirkt die Bundesregierung, als stünde sie im Stau: viel Warnblinklicht, wenig Bewegung.
Die Industrie verliert Substanz, während andere Regionen wachsen. Das ist das eigentlich Erschreckende. Deutschland fällt nicht wegen einer Krise, sondern weil andere schneller, flexibler, unbürokratischer werden. Ein Land, das einst als Exportgigant galt, droht sich selbst im Korsett aus Regeln und politischen Kompromissen zu ersticken.
Die Politik muss endlich aufwachen. Es geht nicht um kleine Korrekturen, sondern um die Frage, ob Deutschland in zehn Jahren noch ein führender Industriestandort sein wird – oder ein Mahnmal verpasster Chancen. Ohne eine klare wirtschaftspolitische Wende, ohne Mut zu Reformen und ohne eine echte Strategie wird das Land weiter abrutschen. Und dann hilft auch kein Sondervermögen mehr.

Mini-Infobox
Produktion 2025: –2 % erwartet
Vier Jahre in Folge Rückgang
EU-Industrie: +1 % prognostiziert
Weltweite Produktion: +3 %
Hauptkritik: Bürokratie, fehlende Investitionen, Strukturstau
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OZD-Analyse
1. Ursachen der industriellen Schwäche in Deutschland
– a) Hohe Energiepreise und Standortkosten
– b) Überregulierung und bremsende Bürokratie
– c) Fehlende öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung
2. Internationale Vergleichsdynamik
– a) EU-Rückkehr ins Wachstum
– b) Starker Schub in Schwellenländern
– c) Erholung in Industriestaaten nach zwei Krisenjahren
3. Forderungen des BDI und wirtschaftspolitische Konsequenzen
– a) Transparente Nutzung des Sondervermögens für Investitionen
– b) Strukturreformen, Entbürokratisierung, Wachstumsimpulse
– c) Gefahr langfristiger Substanzverluste für den Standort

Erklärungen
Was ist der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)?
Der BDI ist die wichtigste Interessenhvertretung der deutschen Industrie
und vertritt rund 100.000 Unternehmen. Er berät Politik, erstellt
Analysen und setzt sich für wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen ein.
OZD-Extras
Extra: Deutschlands Bürokratie – Warum Unternehmen oft länger auf Genehmigungen warten als in fast jedem anderen Industrieland
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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