Die EU-Kommission will am Dienstag ihre Vorschläge zur Überarbeitung der CO₂-Vorgaben für Neuwagen präsentieren – und damit womöglich das sogenannte Verbrenner-Aus deutlich aufweichen. Während mehrere Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, auf Entlastung für die angeschlagene Autoindustrie drängen, kommt aus der Wirtschaftswissenschaft scharfer Gegenwind. Führende Ökonominnen und Ökonomen warnen davor, mit einer Lockerung der Regeln zentrale industrie- und klimapolitische Ziele zu untergraben.
Kern der Debatte sind die EU-Flottengrenzwerte, die festlegen, wie viel Kohlendioxid die neu zugelassenen Fahrzeuge eines Herstellers im Jahresdurchschnitt ausstoßen dürfen. Nach geltender Rechtslage sollen diese Grenzwerte ab 2035 auf null sinken. Ein faktisches Ende für klassische Verbrenner – nicht per Verbot, sondern durch Strafzahlungen für Hersteller, deren Fahrzeuge weiterhin CO₂ ausstoßen.
Doch dieser Kurs könnte nun abgeschwächt werden. Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, erklärte, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe ihm zugesichert, statt einer vollständigen Reduktion künftig eine 90-prozentige CO₂-Minderung zu ermöglichen. Eine offizielle Bestätigung aus Brüssel steht bislang aus. Die Vorschläge sollen am Dienstag im EU-Parlament in Straßburg vorgestellt werden.
Die Bundesregierung sieht im bisherigen Zeitplan eine Gefahr für die ohnehin angeschlagene deutsche Autoindustrie. Ökonomen widersprechen. Monika Schnitzer, Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, warnt davor, das Verbrenner-Aus infrage zu stellen. Eine Verschiebung sichere weder Arbeitsplätze noch Wettbewerbsfähigkeit, sondern verzögere notwendige Innovationen. Ähnlich argumentiert Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Das Kernproblem der deutschen Hersteller sei nicht das Verbrenner-Aus, sondern der technologische Rückstand – etwa bei Batteriezellen.
Differenzierter fällt die Einschätzung der Beratungsfirma EY aus. Deren Autoexperte Constantin Gall betont, dass ein längeres Festhalten an der Verbrenner-Technologie zwar teuer sei, sich aber rechnen könne. Der Hochlauf der Elektromobilität verlaufe in Europa bislang schleppend, die Mehrheit der Käufer greife weiterhin zu Verbrennern oder Hybriden. Entsprechend werden nun Sonderregelungen für Hybridfahrzeuge oder sogenannte Range-Extender diskutiert, bei denen ein kleiner Verbrenner die Batterie lädt.
Ob Brüssel tatsächlich einen Kurswechsel vollzieht, wird sich am Dienstag zeigen. Klar ist: Die Entscheidung wird weitreichende Folgen für Klima, Industrie und Arbeitsplätze in Europa haben. OZD
OZD-Kommentar – Aufschub löst kein Strukturproblem
Das Verbrenner-Aus ist unbequem, teuer und politisch riskant – aber es ist notwendig. Eine Aufweichung der CO₂-Ziele mag kurzfristig Druck aus der Industrie nehmen, doch sie verschiebt das Problem nur in die Zukunft. Deutschlands Autobauer leiden nicht an zu strengen Klimaregeln, sondern an zu spätem Umdenken. Wer jetzt bremst, riskiert den Anschluss an die globale Elektromobilität. Industriepolitik darf nicht mit Nostalgie verwechselt werden. Die Frage ist nicht, ob der Wandel kommt – sondern wer ihn gestaltet.

Mini-Infobox
– EU-Kommission legt Dienstag neue CO₂-Vorschläge vor
– Mögliches Abrücken vom vollständigen Verbrenner-Aus
– Deutschland drängt auf Lockerungen
– Ökonomen warnen vor langfristigen Schäden
– Sonderregeln für Hybride im Gespräch
OZD-Analyse
Der politische Druck
– a) Autoindustrie in der Krise
– b) Nationale Interessen gegen Klimaziele
– c) EVP drängt auf Kurskorrektur
Die ökonomische Kritik
– a) Strukturprobleme statt Regulierung als Kernfrage
– b) Technologischer Rückstand bei Batterien
– c) Gefahr des Innovationsstaus
Die möglichen Folgen
– a) Verzögerung der Elektromobilität
– b) Unsicherheit für Investoren
– c) Glaubwürdigkeitsverlust der EU-Klimapolitik

Was ist das Verbrenner-Aus?
Als Verbrenner-Aus werden die EU-Flottengrenzwerte bezeichnet, nach
denen ab 2035 neu zugelassene Pkw im Schnitt kein CO₂ mehr ausstoßen
dürfen. Ziel ist es, den Straßenverkehr klimaneutral zu machen.
Wer sind die Wirtschaftsweisen?
Die Wirtschaftsweisen sind ein unabhängiges Expertengremium, das die
Bundesregierung in wirtschaftspolitischen Fragen berät. Offiziell heißt
das Gremium Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
OZD-Extras
Noch nie zuvor war eine industriepolitische Entscheidung der EU so eng
mit der Frage globaler Wettbewerbsfähigkeit verknüpft wie beim
Verbrenner-Aus.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.