Zum Inhalt springen
OZD.news - News und Nachrichten zum Nachschlagen
QR-Code zu www.online-zeitung-deutschland.de

Keine Schmerzensgeldpflicht für das Erzbistum Köln nach Missbrauchsurteil - Kommentar: Rechtsempfinden fern ab

Das Landgericht Köln hat entschieden: Das Erzbistum Köln muss einer Missbrauchsbetroffenen kein Schmerzensgeld zahlen. Die Klage einer Frau, die als Pflegetochter eines Priesters Opfer schwerer sexualisierter Gewalt wurde, wurde abgewiesen.

Das Landgericht Köln hat eine Schmerzensgeldklage gegen das Erzbistum Köln im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch durch einen früheren Priester abgewiesen. Die Klägerin hatte als Kind in den siebziger und achtziger Jahren als Pflegetochter bei dem Geistlichen gelebt und war über Jahre hinweg Opfer zahlreicher Missbrauchstaten geworden. Der Priester wurde 2022 zu einer langen Haftstrafe verurteilt, die Taten an seiner Pflegetochter waren zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits verjährt.

Die Klägerin forderte vom Erzbistum Schmerzensgeld in Höhe von 830.000 Euro. Sie argumentierte, die Übergriffe seien im Rahmen der Ausübung des kirchlichen Amts erfolgt und das Bistum müsse daher haften. Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht. In der Urteilsbegründung hieß es, die Betreuung des Pflegekinds sei durch einen staatlichen Akt und nicht durch die kirchliche Tätigkeit des Priesters begründet worden. Die Missbrauchstaten seien im privaten Umfeld und nicht im Zusammenhang mit dem kirchlichen Amt verübt worden. Auch die Zustimmung des Erzbistums zur Aufnahme des Pflegekinds ändere daran nichts. Eine Amtshaftung komme nur in Betracht, wenn ein unmittelbarer Bezug zur Ausübung des kirchlichen Amtes bestehe.

Zudem sah das Gericht keine Anhaltspunkte für eine Verletzung von Aufsichts- oder Fürsorgepflichten durch das Erzbistum. Es habe keine Hinweise darauf gegeben, dass Verantwortliche der Kirche von den Taten wussten oder hätten wissen müssen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine Berufung beim Oberlandesgericht Köln ist möglich.

Die Entscheidung stößt bei Betroffenen-Initiativen auf scharfe Kritik. Die Initiative „Eckiger Tisch“ bezeichnete das Urteil als „Schande für den Rechtsstaat“ und als schweren Schlag für Missbrauchsopfer. Aus ihrer Sicht blendet das Gericht die besondere Verantwortung der Kirche und die Rolle des Priesteramts aus.

Das Erzbistum Köln erklärte, es gebe beim Thema Missbrauch keine Gewinner. Sexuelle Gewalt sei ein Verbrechen, dessen Folgen die Betroffenen oft lebenslang beeinträchtigten. Das Bistum betonte zudem, dass keine Verjährung geltend gemacht wurde und das Verfahren so überhaupt möglich war. ozd


OZD-Kommentar Rechtsempfinden fern ab?

Das Urteil des Landgerichts Köln verdeutlicht die juristischen Hürden für Missbrauchsopfer, die die Institution Kirche in die Verantwortung nehmen wollen. Die Abgrenzung zwischen privatem und amtlichem Handeln eines Priesters bleibt ein zentraler Streitpunkt. Für viele Betroffene bedeutet die Entscheidung einen weiteren Rückschlag im Kampf um Anerkennung und Entschädigung. Die Kritik von Opferinitiativen zeigt, wie groß die Enttäuschung über die ausbleibende institutionelle Verantwortung ist. 

Zugleich wird deutlich: Die gesellschaftliche und politische Debatte über die Haftung der Kirche bei Missbrauchsfällen ist noch lange nicht abgeschlossen. Das Rechtsempfinden ist wohl verletzt, oder wie soll ein Opfer das noch bei der Tat unterscheiden. ozd


OZD-Analyse

Die Abweisung der Klage unterstreicht, wie schwierig es ist, Amtshaftungsansprüche gegen kirchliche Institutionen durchzusetzen. Die Gerichte verlangen einen klaren Zusammenhang zwischen Tat und Amt – eine Hürde, die viele Missbrauchsfälle nicht nehmen können. Für die Betroffenen bleibt oft nur die Hoffnung auf gesellschaftlichen Druck und politische Reformen, um die rechtlichen Lücken zu schließen. Der Fall zeigt, wie groß der Handlungsbedarf im Umgang mit institutioneller Verantwortung bei sexualisierter Gewalt weiterhin ist.

Ob ein Priester auch als Privatmann handeln kann oder ob das untrennbar mit seinem Amt verbunden ist, ist sowohl juristisch als auch kirchlich umstritten.

Kirchenrechtlich versteht die katholische Kirche das Priestersein als eine umfassende Lebensform: Die Weihe prägt die ganze Person, und der Priester soll auch außerhalb seiner offiziellen Amtshandlungen als Repräsentant der Kirche und Christi leben. Viele kirchliche Vorschriften und Erwartungen – etwa zum Lebensstil, zur Ehelosigkeit oder zu bestimmten Verhaltensregeln – gelten rund um die Uhr und nicht nur während der Ausübung von Gottesdiensten oder seelsorgerischen Tätigkeiten. In der kirchlichen Sicht bleibt der Priester also auch in seiner Freizeit immer Priester und ist in seiner Lebensführung eng an sein Amt gebunden.

Juristisch – etwa vor staatlichen Gerichten – wird jedoch oft differenziert: Für eine Haftung der Kirche oder des Bistums muss geprüft werden, ob eine Handlung im Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit steht oder im privaten Bereich erfolgt ist. Das bedeutet: Ein Priester kann rechtlich durchaus als Privatmann handeln, wenn er Tätigkeiten ausübt, die keinen Bezug zu seinem kirchlichen Amt haben. Diese Trennung wird insbesondere dann relevant, wenn es um Schadensersatzansprüche oder institutionelle Verantwortung geht, wie das Beispiel des Missbrauchsprozesses gegen das Erzbistum Köln zeigt.

In der Praxis ist die Unterscheidung aber schwierig und wird immer wieder kontrovers diskutiert. Während die Kirche das Priesteramt als „totale Indienstnahme der ganzen Person“ versteht, argumentieren Juristen und Gerichte im Einzelfall oft mit einer Trennung zwischen Amt und Privatleben – mit allen damit verbundenen Herausforderungen und Widersprüchen. 




Erklärungen

Amtshaftung: Staatliche oder institutionelle Haftung für Schäden, die durch Amtsträger in Ausübung ihres öffentlichen Amtes verursacht werden.

Schmerzensgeld: Finanzielle Entschädigung für erlittenes Leid, insbesondere bei schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

Verjährung: Zeitraum, nach dessen Ablauf eine Tat nicht mehr strafrechtlich verfolgt oder zivilrechtlich geltend gemacht werden kann.

Betroffenen-Initiative: Zusammenschluss von Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind und sich für Aufarbeitung und Entschädigung einsetzen.


Rechtsempfinden bezeichnet das intuitive oder gefühlsmäßige Verständnis von Recht und Gerechtigkeit, das Menschen unabhängig von juristischen Fachkenntnissen haben. Es ist das, was viele als ihr „Bauchgefühl“ für richtig oder falsch in rechtlichen und moralischen Fragen empfinden.

Das Rechtsempfinden ist geprägt von gesellschaftlichen Normen, Werten, Erziehung und persönlichen Erfahrungen. Es kann sich von Person zu Person und von Kultur zu Kultur unterscheiden. Oft spiegelt das Rechtsempfinden wider, was die Mehrheit einer Gesellschaft als gerecht oder ungerecht empfindet – zum Beispiel, dass Straftäter bestraft oder Opfer entschädigt werden sollten.

Juristisch ist das Rechtsempfinden kein Maßstab für Gerichte, da diese sich an Gesetze und objektive Normen halten müssen. Allerdings kann das Rechtsempfinden Einfluss auf die Gesetzgebung und die Auslegung von Gesetzen haben. Wenn viele Menschen ein Urteil als „ungerecht“ empfinden, kann das gesellschaftlichen und politischen Druck erzeugen, Gesetze zu ändern oder anzupassen.



Biographien und Institutionen

Landgericht Köln: Zuständiges Gericht für Zivil- und Strafsachen im Raum Köln.

Erzbistum Köln: Größtes katholisches Bistum in Deutschland, immer wieder im Fokus von Missbrauchsaufarbeitung.

Initiative Eckiger Tisch: Interessenvertretung und Sprachrohr von Betroffenen sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext.



Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild dpa