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75 Jahre Verfassungsschutz: Dobrindt kündigt „aktive Abwehrstrategie“ gegen Russland an

Zum 75. Jubiläum des Bundesamts für Verfassungsschutz kündigt Innenminister Alexander Dobrindt eine tiefgreifende Neuausrichtung an. Angesichts wachsender Gefahren soll der Inlandsgeheimdienst „aktiver Abwehrdienst“ werden.

Zum 75. Jahrestag seiner Gründung hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine umfassende Neuausrichtung angekündigt. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CDU) sprach am Montag in Berlin von einem „Transformationsprozess“, der die Behörde zu einem „aktiven Abwehrdienst zum Schutze unserer Demokratie“ machen solle. Der Bund werde „finanzielle Mittel bereitstellen und bei Bedarf auch personell aufstocken“, sagte Dobrindt bei einem Festakt.

„Es gibt eine steigende Bedrohung durch fremde Mächte“, warnte der Minister. Besonders die Aktivitäten Russlands im Bereich von Spionage, Cyberangriffen und Desinformation bereiteten große Sorgen. „In Zeiten hybrider Bedrohungen ist es wichtiger denn je, dass wir unsere Verfassung aktiv verteidigen“, betonte Dobrindt.

Auch der neue Verfassungsschutzpräsident Sinan Selen, der bei der Feier seine Antrittsrede hielt, skizzierte ein düsteres Bedrohungsbild. „Wir erleben hybride Bedrohungen, Sabotage, Spionage und Einflussoperationen insbesondere durch Russland – bis hin zu gezielten Tötungsoperationen gegen Gegner des Systems“, sagte Selen. Es gehe nicht um zukünftige Risiken, sondern um „Angriffe, die hier und jetzt auf uns einwirken“.

Der neue Behördenchef forderte eine Stärkung der technischen Fähigkeiten und Befugnisse seines Amtes. Die Sicherheitsarchitektur müsse „gehärtet werden – technisch, physisch und mental“. Selen plädierte zudem für eine engere europäische Kooperation und eine „Synchronisierung“ der Abwehrdienste.

Das 1950 gegründete BfV wurde als Inlandsnachrichtendienst geschaffen, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung der jungen Bundesrepublik zu schützen. Es entstand unter der Aufsicht der Westalliierten – mit einem entscheidenden Unterschied zur NS-Zeit: Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten sollte verhindern, dass erneut eine politische Polizei wie die Gestapo entsteht.

Dobrindt würdigte das BfV als „Garant unserer Freiheit“ und „Schutzschild der Demokratie“. Die Lehre aus der Geschichte sei klar: „Jede Demokratie braucht Demokratieschützer.“

Aktuell beschäftigt das Bundesamt rund 4500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die überwiegend in Köln und Berlin tätig sind. Gemeinsam mit den 16 Landesämtern bildet es das Rückgrat des deutschen Inlandsnachrichtendienstes.


OZD-Kommentar:
75 Jahre Verfassungsschutz – und Deutschland steht wieder vor der Frage, wie viel Überwachung eine Demokratie braucht, um sich selbst zu schützen. Dobrindts Pläne für einen „aktiven Abwehrdienst“ klingen entschlossen, bergen aber auch Risiken: Wer definiert, wann der Schutz der Demokratie in Kontrolle umschlägt? In Zeiten russischer Cyberangriffe und gezielter Desinformation ist Wachsamkeit nötig, doch sie darf nicht zur Ausdehnung staatlicher Macht führen. Der neue Präsident Selen steht vor der Herkulesaufgabe, Sicherheit zu garantieren, ohne Freiheit zu gefährden.



Mini-Infobox:

Gründung: 7. November 1950

Mitarbeiterzahl: rund 4500 (BfV, ohne Landesämter)

Sitz: Köln und Berlin

Neuer Präsident: Sinan Selen

Hauptaufgaben: Spionageabwehr, Extremismusbekämpfung, Sabotageschutz



OZD-Analyse:

Die neue Sicherheitslage
– a) Russland, China und Cyberangriffe stellen neue Dimensionen der Bedrohung dar.
– b) Der Verfassungsschutz reagiert mit technischer Modernisierung.
– c) Hybride Kriegsführung verschiebt die Grenzen zwischen Spionage und Angriff.

Politische Verantwortung
– a) Dobrindt setzt auf aktiven Schutz der Demokratie.
– b) Gefahr der Kompetenzüberschneidung mit Polizei und BND.
– c) Notwendigkeit klarer rechtlicher Kontrolle durch Bundestag.

Historische Perspektive
– a) 1950 gegründet als Lehre aus der NS-Zeit.
– b) Trennungsgebot als Grundpfeiler demokratischer Sicherheitsarchitektur.
– c) 75 Jahre später steht das BfV vor einem neuen Balanceakt zwischen Freiheit und Sicherheit.




Wer ist Sinan Selen?
Sinan Selen, geboren 1972 in Istanbul, ist seit 2025 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Der frühere Vizepräsident des Bundeskriminalamts (BKA) gilt als erfahrener Sicherheitsexperte mit Migrationshintergrund und internationaler Erfahrung. Er steht für eine pragmatische, aber auch technikorientierte Modernisierung der Sicherheitsbehörden.

Was ist das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)?
Das BfV ist der Inlandsnachrichtendienst Deutschlands. Es hat die Aufgabe, Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten – von politischem Extremismus über Spionage bis zu Cyberangriffen. Seine Arbeit soll verhindern, dass Gefahren für den Staat und seine Bürger entstehen, bevor sie strafrechtlich relevant werden.

OZD-Extras:
Fun-Fact: Der erste Präsident des Verfassungsschutzes, Otto John, floh 1954 in die DDR – und wurde dort als „Überläufer“ gefeiert, bevor er Jahre später nach Westdeutschland zurückkehrte. Ein Skandal, der das junge Amt erschütterte.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.