Bundeskanzler Friedrich Merz hat deutliche Kritik an der neuen US-Sicherheitsstrategie geübt und sich gegen deren europapolitische Aussagen verwahrt. In Mainz erklärte er am Dienstag, einige Passagen seien „aus europäischer Sicht inakzeptabel“. Die USA hatten in ihrem jüngsten Strategiepapier die politische Situation in Europa ungewöhnlich scharf bewertet – inklusive Vorwürfen zur Einschränkung von Meinungsfreiheit und Unterstützung für rechtspopulistische Kräfte.
Merz machte klar, dass Europa seine Demokratie nicht von außen verteidigt bekommen müsse. „Dass die Amerikaner nun die Demokratie in Europa retten wollen, dafür sehe ich keine Notwendigkeit“, betonte er. Deutschland und Europa könnten ihre demokratische Ordnung selbst schützen. Gleichzeitig warnte er Washington vor dem Risiko einer wachsenden Selbstisolierung. „America first is fine, aber ‘America alone’ kann nicht in eurem Interesse sein“, sagte Merz.
Er bot die Partnerschaft Europas – und insbesondere Deutschlands – ausdrücklich an. Falls die USA Europa nicht als strategischen Partner betrachteten, solle zumindest Deutschland diese Rolle einnehmen. Die neue US-Sicherheitsstrategie nennt Europa nicht nur als geschwächten Verbündeten, sondern fordert zudem ein Ende der „Masseneinwanderung“ und unterstellt europäischen Regierungen eine Unterdrückung politischer Opposition.
Für Merz bestätigt das Papier vor allem eines: Europa müsse sicherheitspolitisch unabhängiger werden. Angesichts der veränderten geopolitischen Interessen der USA sollten sich die europäischen Staaten darauf einstellen, dass Washington eines Tages nicht mehr als verlässlicher Bündnispartner zur Verfügung stehen könnte. Die höheren deutschen Verteidigungsausgaben seien Teil dieser Vorbereitung.
Trotz der Differenzen hält Merz an
seinem Kurs fest, den Dialog mit Washington auszubauen. Die Einladung an
US-Präsident Donald Trump zu einem Besuch im rheinland-pfälzischen
Stammhaus seiner Familie bleibe bestehen. Trump habe bei einem Treffen
im Weißen Haus „mit großer Begeisterung“ zugesagt, einen Termin gebe es
jedoch noch nicht.
OZD
Was in Washington geschrieben wurde, wirkt wie ein politischer Paukenschlag – und Merz reagiert mit ungewohnter Schärfe. Zu Recht. Wenn die USA Europa öffentlich schwächen, rechtspopulistische Bewegungen indirekt ermutigen und gleichzeitig den eigenen Rückzug aus der weltpolitischen Verantwortung verkünden, ist das mehr als nur ein irritierendes Signal: Es ist eine Gefahr für die Stabilität des Westens.
Merz spricht aus, was viele Regierungen denken, aber selten laut formulieren: Die USA sind im Begriff, sich aus der Rolle des verlässlichen Verbündeten zu verabschieden. Doch der Kommentar des Kanzlers offenbart auch ein Dilemma. Europa will unabhängig werden – ist es aber nicht. Und solange sich die EU in Sicherheitsfragen auf amerikanische Strukturen stützt, bleibt jeder politische Kurswechsel in Washington ein Risiko für den Kontinent.
Der Kanzler fordert Partnerschaft und bietet Kooperation an, doch seine Worte klingen wie ein Appell, der ins Leere laufen könnte. Sollte Washington seinen Kurs fortsetzen, steht Europa vor einer historischen Zäsur: dem erzwungenen Schritt in die vollständige strategische Eigenständigkeit. Dieser Weg wäre teuer, beschwerlich und politisch explosiv – aber er könnte bald unvermeidlich sein.
Vorerst setzt Merz auf Dialog. Doch die Frage ist: Reicht Dialog, wenn der Partner längst in eine andere Richtung marschiert?

Neue US-Strategie kritisiert Europas Politik ungewöhnlich scharf
USA wollen rechtspopulistische Kräfte in Europa unterstützen
Merz nennt Teile des Dokuments „inakzeptabel“
Kanzler fordert mehr europäische Eigenständigkeit
Einladung an Trump zu Besuch in Rheinland-Pfalz bleibt bestehen

1. Politische Dimension des Strategiepapiers
– a) Scharfe Kritik der USA an Europa –
– b) Unterstützung für rechte Parteien –
– c) außenpolitischer Rückzug zugunsten nationaler Agenda –
2. Reaktionen Europas und Deutschlands
– a) Merz’ Zurückweisung der US-Schelte –
– b) gewachsene Skepsis gegenüber amerikanischer Verlässlichkeit –
– c) Forderung nach neuer sicherheitspolitischer Autonomie –
3. Zukünftige Risiken und strategische Optionen
– a) mögliche Abkehr der USA vom Bündnisgedanken –
– b) Notwendigkeit eines europäischen Verteidigungsmodells –
– c) diplomatische Bedeutung bilateraler Beziehungen trotz Spannungen –

Die Nationale Sicherheitsstrategie ist ein Grundlagendokument, in dem die US-Regierung ihre weltpolitischen Prioritäten, Bedrohungseinschätzungen und außenpolitischen Ziele formuliert. Sie beeinflusst die amerikanische Militär-, Wirtschafts- und Bündnispolitik und wird oft als Signal für die internationale Ausrichtung der Regierung verstanden.
OZD-Extras
Bonusinfo:
Die US-Sicherheitsstrategie wird üblicherweise nur alle vier Jahre
veröffentlicht – die jetzige Fassung markiert eine der deutlichsten
Kursänderungen gegenüber Europa seit dem Ende des Kalten Krieges.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.