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Einführung verpflichtender Gentests für Athletinnen? - Mit Kommentar

Olympiasiegerin Malaika Mihambo stellt sich gegen die Einführung verpflichtender Gentests für Athletinnen. Sie warnt vor einem juristisch, ethisch und wissenschaftlich fragwürdigen Schnellschuss.

Tokio-Olympiasiegerin Malaika Mihambo hat den Leichtathletik-Weltverband World Athletics (WA) scharf für die Einführung verpflichtender Gentests kritisiert. „Ich sehe diese Maßnahme sehr kritisch. In kürzester Zeit alle Athletinnen weltweit zu Gentests verpflichten zu wollen, ist juristisch fragwürdig, ethisch heikel und wissenschaftlich verkürzt“, sagte die zweimalige Weltmeisterin im Gespräch mit dem Sport-Informations-Dienst (SID).

Ab dem 1. September müssen Athletinnen weltweit den Nachweis ihres biologischen Geschlechts erbringen, bevor sie bei internationalen Wettbewerben starten dürfen. Erstmals kommt die Regel bei der WM in Tokio vom 13. bis 21. September zur Anwendung. WA-Präsident Sebastian Coe hatte die Entscheidung Ende Juli mit dem Schutz des Frauensports und der Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen begründet.

Mihambo vermisst jedoch die Verhältnismäßigkeit. „Für ein sehr kleines Problem werden enorme Ressourcen aufgewendet, während die wirklich drängenden Themen – Doping, Missbrauch, Gewalt im Sport – weiter bestehen. Wenn wir von Integrität sprechen, dann müssen wir genau dort mindestens genauso entschlossen handeln.“

Der vorgesehene SRY-Test soll über einen Wangenabstrich oder eine Blutabnahme das Vorhandensein des Y-Chromosoms nachweisen. World Athletics bezeichnet ihn als zuverlässigen Indikator. Mihambo hält dagegen: „Ein einzelner Gentest klingt nach einer klaren Lösung, ist aber wissenschaftlich verkürzt und blendet aus, dass Geschlecht kein simples Entweder-oder ist.“ Faire Wettbewerbsbedingungen bestünden aus vielen Faktoren, betonte sie.

Auch der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) äußerte sich kritisch. Der leitende Verbandsarzt Karsten Hollander sprach von einem „außerordentlich sensiblen Thema“ und warnte vor moralischen, ethischen und logistischen Herausforderungen. Man versuche nun, trotz des engen Zeitrahmens, den Athletinnen eine Teilnahme an der WM zu ermöglichen.

Die Debatte reiht sich ein in den Streit um Athletinnen wie die Südafrikanerin Caster Semenya, die von WA bereits gezwungen wurde, ihren Testosteronspiegel durch Medikamente zu senken. Semenya war bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen und hatte Mitte Juli nur teilweise Recht erhalten.

OZD


OZD-Kommentar: "Ein Experiment auf Kosten der Frauen" 

Die Einführung verpflichtender Gentests wirkt wie ein autoritärer Schnellschuss. World Athletics will Fairness demonstrieren, doch in Wahrheit schiebt man die Verantwortung für komplexe Fragen auf die Schultern der Athletinnen. Was als Schutz des Frauensports verkauft wird, ist ein juristisch wackliges, ethisch fragwürdiges Experiment, das den Körper von Sportlerinnen zum Objekt von Kontrolle macht. Statt Missbrauch, Doping und strukturelle Gewalt im Sport entschieden anzugehen, verschiebt der Weltverband die Debatte auf ein einzelnes Chromosom. Damit riskiert er nicht nur Rechtsstreitigkeiten, sondern auch das Vertrauen in den Sport selbst.


Lesermeinungen

„Mihambo hat völlig recht: Das ist ein Angriff auf die Würde der Athletinnen.“ Paula P. 

„Ich finde es richtig, endlich klare Regeln einzuführen – sonst ist der Wettbewerb unfair.“ Martin Sonne 

„Die Gentests sind ein Skandal. So macht sich der Sport unglaubwürdig.“ Svenja K. 


OZD-Analyse

Hintergrund der Entscheidung
– Einführung ab 1. September, erstmals bei der WM in Tokio angewendet.
– Ziel laut WA: Schutz des Frauensports, Kontrolle biologischer Geschlechterzuordnung.
– Eingeführt nach einer Arbeitsgruppen-Empfehlung, die die Testosteron-Regel als unzureichend bewertete.

Kritikpunkte
a) Juristisch fragwürdig: mögliche Klagen von Athletinnen wegen Grundrechte-Einschränkungen.
b) Ethisch heikel: Eingriffe in die körperliche Autonomie und Privatsphäre.
c) Wissenschaftlich verkürzt: Geschlecht ist nicht nur eine Frage des Y-Chromosoms.

Reaktionen
– Malaika Mihambo warnt vor Missbrauch von Ressourcen und Vernachlässigung anderer Probleme.
– Deutscher Leichtathletik-Verband kritisiert Kurzfristigkeit und moralische Dimension.
– Athletinnen wie Caster Semenya sind von vergleichbaren Regelungen schon betroffen.

Folgen
– Rechtsstreitigkeiten vor internationalen Gerichten wahrscheinlich.
– Gefahr einer Polarisierung zwischen Verbänden, Athletinnen und Menschenrechtsorganisationen.
– Risiko einer Glaubwürdigkeitskrise für den Weltsport.


Wer ist Malaika Mihambo?
Malaika Mihambo, geboren 1994 in Heidelberg, ist Deutschlands erfolgreichste Weitspringerin. Sie gewann 2019 und 2022 den Weltmeistertitel, 2021 Olympiagold in Tokio und ist mehrfache Europameisterin. Mihambo gilt nicht nur als Ausnahmeathletin, sondern auch als engagierte Stimme für Fairness und Werte im Sport.

Was ist World Athletics?
World Athletics ist der internationale Leichtathletik-Weltverband mit Sitz in Monaco. Er wurde 1912 als International Association of Athletics Federations (IAAF) gegründet und ist heute für alle globalen Wettkämpfe der Leichtathletik verantwortlich. Präsident ist seit 2015 der Brite Sebastian Coe.


Was ist ein Chromosom? 

Ein Chromosom ist eine Struktur im Zellkern von eukaryotischen Zellen (also bei Menschen, Tieren und Pflanzen), die aus DNA und Proteinen besteht. Chromosomen enthalten die genetischen Informationen eines Organismus, also das Erbgut. Die DNA in den Chromosomen ist stark komprimiert und organisiert, sodass sie bei der Zellteilung (Mitose und Meiose) gut aufgeteilt werden kann. Beim Menschen gibt es normalerweise 46 Chromosomen, die in 23 Paaren vorliegen, inklusive der Geschlechtschromosomen.

Es besteht hauptsächlich aus der DNA-Doppelhelix und speziellen Proteinen (Histone), die die DNA kompakt halten.

Chromosomen sind die Träger der Gene. Ein Gen ist ein Abschnitt auf der DNA, der die Bauanleitung für ein bestimmtes Merkmal darstellt.

Während der Zellteilung sind Chromosomen besonders gut sichtbar, da sie stark verdichtet sind und die charakteristische X-Form annehmen.

Zusammengefasst: Chromosomen sind die komprimierten Informationspakete unserer Erbinformation und sorgen für eine geordnete und effiziente Weitergabe sowie Funktion der Gene in jeder Zelle.

Abweichungen in Anzahl oder Struktur von Chromosomen können zu genetischen Krankheiten führen, zum Beispiel zu Trisomie 21 (Down-Syndrom).


Wie funktioniert eine Chromosomtest? 

Ein Chromosomentest – auch Chromosomenanalyse genannt – überprüft die Zahl und Struktur der Chromosomen in den Zellen eines Menschen. Das Verfahren läuft so ab:

Zuerst wird in der Regel eine Blutprobe entnommen. Für pränatale Untersuchungen kommen auch Fruchtwasser oder Gewebeproben infrage.

Aus der Probe werden Zellen gewonnen und im Labor zur Teilung angeregt.

Während einer bestimmten Phase der Zellteilung (Metaphase) sind die Chromosomen gut sichtbar. Die Zellen werden fixiert und gefärbt, sodass die Chromosomen unter dem Mikroskop untersucht werden können.

Die Chromosomen werden fotografiert und auf Anzahl, Form und eventuelle Auffälligkeiten geprüft. Die Sortierung erfolgt nach Größe und Aussehen – man spricht von einem „Karyogramm“.

Es wird abgeglichen, ob die normale Chromosomenzahl (beim Menschen 46) und die richtige Struktur vorliegt. So lassen sich z.B. Down-Syndrom (Trisomie 21), Veränderungen der Geschlechtschromosomen oder andere genetische Störungen erkennen.

Neben der klassischen Mikroskopie gibt es moderne molekulare Methoden, wie etwa die FISH-Technik, die bestimmte Chromosomenabschnitte gezielt sichtbar macht.

Der Chromosomentest eignet sich somit zur Diagnose von Erbkrankheiten oder unklaren genetischen Auffälligkeiten.


Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.