SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf hat verärgert auf die Kritik der Union am Wehrdienst-Modell von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius reagiert. „Wir haben uns in der Koalition gemeinsam auf einen klaren Weg verständigt: Der neue Wehrdienst wird freiwillig sein. Punkt“, sagte Klüssendorf dem Magazin „Stern“ laut Vorabmeldung vom Montag. „Daran werden sich alle halten – auch Markus Söder“, fügte der SPD-Politiker mit Blick auf den CSU-Chef hinzu.
Söder hatte am Wochenende seine Kritik am Gesetzentwurf des SPD-Verteidigungsministers zum Wehrdienst erneuert und von einer „Wischiwaschi-Wehrpflicht“ gesprochen. „An der Wehrpflicht führt kein Weg vorbei“, sagte der CSU-Chef der „Bild am Sonntag“ und mahnte, dass Deutschland in Zeiten großer Bedrohung „mehr als eine Fragebogen-Armee“ brauche.
Auch andere Unionspolitiker sprachen sich deutlich für eine Wehrpflicht aus, darunter Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU). Nach Klüssendorfs Gespräch mit dem „Stern“ sagte Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz in der ARD-Sendung „Caren Miosga“, er sei „skeptisch“ und zweifle daran, dass das Freiwilligenmodell der Bundeswehr genügend neues Personal bringe. „Meine Meinung ist schon, dass wir den Wehrdienst wieder brauchen“, fügte der Kanzler hinzu.
Klüssendorf kritisierte die anhaltende Diskussion scharf. „Wer wieder und wieder Debatten aufwärmt, schwächt die Glaubwürdigkeit der Politik und verunsichert junge Menschen“, sagte er dem „Stern“. Stattdessen müsse sich die schwarz-rote Koalition nun endlich an die Umsetzung machen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. „Und mit dem neuen Wehrdienst werden wir sie erreichen“, gab sich der SPD-Generalsekretär zuversichtlich.
„Wir werben bei jungen Menschen, sich in der Bundeswehr für unser Land zu engagieren – ohne Pflicht, aber mit Perspektiven: mit guter Ausbildung, attraktiven Chancen und hoher Anerkennung“, hob Klüssendorf hervor.
Über das Wehrdienstgesetz von Pistorius soll nicht mehr wie ursprünglich geplant am kommenden Donnerstag erstmals im Bundestag beraten werden, sondern erst eine Woche später. Die Pläne von Pistorius sollen pro Jahr zehntausende neue Rekruten zur Bundeswehr bringen – bis auf Weiteres allerdings auf freiwilliger Basis.
Ein verpflichtender Wehrdienst ist zwar vorgesehen für den Fall, dass Rekrutierungsziele nicht erreicht werden oder die Sicherheitslage höhere Zahlen nötig macht. Es gibt aber keinen Automatismus, keine festgelegte Zahl und keinen festgelegten Zeitpunkt für eine Aktivierung der Wehrpflicht. CDU und CSU fordern jedoch konkrete Vorgaben zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht, wenn die Ziele nicht erreicht werden.
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OZD-Kommentar
Der Streit um die Wehrpflicht zeigt mehr als nur unterschiedliche Sicherheitskonzepte – er legt die politische Nervenbahn Deutschlands offen. Während Pistorius auf Freiwilligkeit und Motivation setzt, klingt die Union nach Pflicht und Disziplin. Die SPD versucht, den Geist einer modernen Armee zu beschwören, doch die Realität – Fachkräftemangel, globale Unsicherheit, gesellschaftliche Müdigkeit – holt sie ein. Wenn die Freiwilligkeit scheitert, wird die Pflicht zurückkehren – nicht aus Ideologie, sondern aus Notwendigkeit. Deutschlands Zukunft in der Verteidigungspolitik wird nicht an Willenserklärungen gemessen, sondern an gefüllten Kasernen.
Lesermeinungen
„Ich finde es richtig, dass junge Menschen selbst entscheiden dürfen, ob sie dienen wollen. Zwang passt nicht mehr in diese Zeit.“ – Lisa Neumann, Leipzig
„Freiwilligkeit ist schön gedacht, aber wenn keiner hingeht, stehen wir wehrlos da. Sicherheit darf keine Option sein.“ – Thomas Berger, Regensburg
OZD-Analyse
1. Politische Frontlinien
Die Auseinandersetzung um den neuen Wehrdienst offenbart die Spannungen zwischen SPD und Union. Während die SPD unter Boris Pistorius auf ein modernes, freiwilliges Modell setzt, sieht die Union darin eine gefährliche Schwächung der Wehrfähigkeit.
OZD-Erklärung – Wer ist Boris Pistorius?
Boris Pistorius (SPD) ist seit 2023 Bundesverteidigungsminister. Er gilt als durchsetzungsstark, pragmatisch und sicherheitspolitisch erfahren. Sein Ziel: eine einsatzbereite Bundeswehr mit breiter gesellschaftlicher Akzeptanz.
2. Strukturelle Probleme der Bundeswehr
a) Mangel an Personal – Die Truppe kämpft mit sinkenden Bewerberzahlen.
b) Technische Defizite – Ausrüstung und Digitalisierung bleiben Problemfelder.
c) Gesellschaftliche Distanz – Die Bundeswehr kämpft um gesellschaftliche Anerkennung.
OZD-Erklärung – Was ist der Wehrdienst?
Der Wehrdienst bezeichnet die Pflicht oder freiwillige Verpflichtung zum Militärdienst. In Deutschland wurde die allgemeine Wehrpflicht 2011 ausgesetzt. Eine Wiedereinführung erfordert ein Gesetz, das den Verteidigungsbedarf begründet.
3. Mögliche Folgen
Sollte das Freiwilligenmodell scheitern, könnte eine „Wehrpflicht light“ drohen – eine Mischform mit Auswahlverfahren und Pflichtanteilen. Dies würde die gesellschaftliche Debatte erneut entfachen – zwischen Freiheit und Verantwortung, Idealismus und Realität.
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