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Europa atmet auf: Nexperia-Krise endet vorerst – Autobranche entgeht nächstem Schock

Im Chipstreit zwischen China und den Niederlanden kommt die überraschende Kehrtwende: Die staatliche Kontrolle über Nexperia wird ausgesetzt. Europa hofft auf Stabilität – doch das geopolitische Risiko bleibt.

Die niederländische Regierung hat überraschend die staatliche Kontrolle über den Chip-Hersteller Nexperia ausgesetzt – eine Entscheidung, die weltweit Beachtung findet. Wirtschaftsminister Vincent Karremans sprach am Mittwoch von einer „Geste guten Willens“ gegenüber China. Die Maßnahme war erst Ende September verhängt worden und hatte zu einem akuten Mangel an Halbleitern geführt, der besonders die europäische Autoindustrie hart traf.

Nexperia, ein wichtiger Produzent von Standardchips, gehört dem chinesischen Konzern Wingtech. Obwohl die Halbleiter in Europa gefertigt werden, gehen viele Bauteile zur Weiterverarbeitung nach China – und erst von dort zurück zu europäischen Kunden. Genau dieser Technologietransfer hatte Den Haag alarmiert: Die Regierung setzte das Unternehmen unter staatliche Aufsicht und entließ Firmenchef Zhang Xuezheng. Ein drastischer Schritt, begründet mit Sicherheitsbedenken und der Gefahr eines Abflusses kritischer Produktionstechnologie.

China reagierte prompt mit einem Exportverbot für Nexperia-Chips. Die Folge: Lieferengpässe, Stillstand bei Produktionslinien und eine nervöse europäische Industrie, die mitten im Transformationsdruck plötzlich um essenzielle Bauteile kämpfte. Anfang November lenkte Peking schließlich ein und erlaubte Ausnahmen – ein erstes Zeichen der Entspannung.

Nun macht auch Den Haag einen Schritt zurück. Karremans erklärte, man habe „in enger Absprache mit europäischen und internationalen Partnern“ sowie mit China einen konstruktiven Weg gefunden. Der Dialog soll in den kommenden Monaten fortgesetzt werden.

EU-Handelskommissar Maros Sefcovic lobte die Entscheidung als wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der strategisch bedeutenden Chip-Lieferketten Europas. Ein struktureller Konflikt bleibt dennoch bestehen: Wingtech steht seit 2023 auf einer US-Liste von Unternehmen, die gegen amerikanische Sicherheitsinteressen verstoßen. Die geopolitische Spannung zwischen China, der EU und den USA schwebt somit weiter über dem Fall.

Bemerkenswert bleibt auch das Instrument, das die Niederlande verwendet hatten: Ein Gesetz aus dem Jahr 1952, geschaffen im Kalten Krieg, das noch nie zuvor angewandt wurde. Es erlaubt, zentrale Unternehmensentscheidungen ein Jahr lang zu blockieren. Nexperia, einst Teil von Philips und NXP, betreibt unter anderem ein Werk in Hamburg und war ursprünglich sogar für staatliche Chip-Förderungen vorgesehen – bis das deutsche Wirtschaftsministerium den Konzern 2023 wegen seiner China-Verbindung aus der Förderliste strich.
OZD

OZD-Kommentar

Diese Entscheidung ist weniger ein Sieg der Vernunft als ein Eingeständnis der Verwundbarkeit Europas. Die Niederlande haben die Kontrolle über Nexperia nicht aufgehoben, weil die Gefahr gebannt ist, sondern weil die wirtschaftlichen Folgen schlicht zu teuer wurden. Peking weiß jetzt, wie abhängig Europa von chinesischen Zulieferketten tatsächlich ist – ein geopolitischer Triumph für China.

Europa wiederum versucht, zwischen Sicherheit und wirtschaftlichem Überleben zu balancieren, und stolpert dabei über jede Stolperfalle. Die USA setzen Wingtech auf eine Schwarze Liste, die EU ringt um ihre strategische Autonomie, Deutschland strengt sich vergeblich an, eigene Chiplinien aufzubauen – und am Ende muss ein Gesetz aus dem Kalten Krieg herhalten, um die Kontrolle über Leittechnologie zu wahren.

Der Rückzug Den Haags wirkt wie ein taktisches Manöver, nicht wie eine Strategie. Wenn Europa nicht endlich eine gemeinsame, harte Linie in der Chippolitik findet, droht der Kontinent im Wettstreit der Großmächte dauerhaft zur technologischen Randfigur zu werden. Die Atempause bei Nexperia darf nicht darüber hinwegtäuschen: Der nächste Lieferstopp ist nur eine politische Geste entfernt.

Mini-Infobox

Mini-Infobox
– Nexperia unterliegt Wingtech (China)
– Staatliche Kontrolle der Niederlande nun ausgesetzt
– Chip-Mangel belastete Autoindustrie
– Exportverbot Chinas zuletzt gelockert
– EU spricht von entscheidender Lieferketten-Stabilisierung

OZD-Analyse

Der geopolitische Hintergrund des Nexperia-Konflikts
– Europa kämpft um technologische Unabhängigkeit –
– China nutzt ökonomische Hebel zur Einflussnahme –
– USA verschärfen Druck durch Schwarze Listen –
– die neue Weltordnung verschiebt sich Richtung Asien.

Wirtschaftliche Folgen für Europa
– Autoindustrie massiv durch Chip-Engpässe getroffen –
– Abhängigkeit von Standardhalbleitern besonders kritisch –
– nationale Alleingänge destabilisieren Lieferketten –
– EU sucht dringend nach strategischer Koordination.

Risiken durch chinesische Eigentümerstrukturen
– potenzieller Technologietransfer nach China –
– mögliche Aushebelung europäischer Sicherheitsinteressen –
– steigende politische Verwundbarkeit –
– unsichere Zukunft für Förderprogramme im Chip-Bereich.

Erklärungen

Was ist Nexperia?
Nexperia ist ein niederländischer Hersteller von Standardhalbleitern, die vor allem im Automobilsektor und in elektronischen Steuergeräten eingesetzt werden. 2018 vom chinesischen Konzern Wingtech übernommen, gehört das Unternehmen zu den größten Produzenten einfacher, aber kritischer Chips für den Weltmarkt.

Was ist das niederländische Warenverfügbarkeitsgesetz?
Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1952 und wurde im Kalten Krieg geschaffen, um kritische Unternehmen unter staatliche Kontrolle zu stellen, wenn nationale Sicherheitsinteressen betroffen sind. Es erlaubt der Regierung, ein Jahr lang zentrale Entscheidungen eines Unternehmens zu blockieren. Seine Anwendung im Fall Nexperia war historisch einmalig.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.

OZD-Extras

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Kurios: Das niederländische Gesetz, das Nexperia unter Kontrolle stellte, trat in Kraft, als Chips noch Radio-Bauteile waren – nicht die Grundlage der globalen Hochtechnologie.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.