Die jüngste Wortmeldung aus Moskau offenbart mehr als nur Empörung: Sie ist Teil eines strategischen Narrativs, das Russland rund um den 9. Mai – dem Gedenktag an den Sieg über Nazi-Deutschland – gezielt auflädt. Die Behauptung, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedrohe die Sicherheit von Veteranen, basiert auf einer vorsätzlichen Fehlinterpretation seiner Aussagen. In Wahrheit hatte Selenskyj betont, dass seine Regierung nicht garantieren könne, was „Russland an diesem Tag tun wird“ – eine nachvollziehbare Sorge angesichts der militärischen Eskalationen und Propagandaakte beider Seiten.
Die eigentliche Schlagzeile liegt jedoch in der Ankündigung des Kremls: Eine dreitägige Waffenruhe vom 8. bis 10. Mai, mitten im Krieg. Das klingt nach einem Friedenssignal – oder nach politischem Theater, wie Selenskyj es nennt. Die Inszenierung rund um den historischen Gedenktag scheint in erster Linie dazu zu dienen, internationale Gäste wie Xi Jinping oder Lula da Silva als moralisches Rückgrat für den russischen Kurs zu präsentieren. Dass gleichzeitig militärisch „pausiert“ wird, mag nach außen wie Dialogbereitschaft wirken, entbehrt aber – so Selenskyjs Kritik – jeder realpolitischen Substanz.
Dass Putin sich inmitten eines Angriffskrieges auf die Erinnerung an den antifaschistischen Sieg beruft, wirkt historisch befremdlich. Gerade die Instrumentalisierung eines gemeinsamen europäischen Gedenkens für nationalistische und geopolitische Zwecke untergräbt die Glaubwürdigkeit solcher Feierlichkeiten. Dass Moskau nun versucht, die Ukraine rhetorisch in die Rolle des Aggressors zu drängen, passt in dieses Muster. Die „Drohungs“-Rhetorik dient der Schuldumkehr – ein bekanntes Mittel russischer Informationspolitik.
Gleichzeitig ist die ukrainische Position keineswegs leichtfertig. Kiew fordert einen umfassenden Waffenstillstand, nicht symbolische Pausen mit PR-Wirkung. Die Gespräche mit Russland sollen, laut ukrainischer Seite, nur dann beginnen, wenn es echte Anzeichen für einen grundlegenden Kurswechsel gibt – nicht bloß für eine temporäre Bühnenruhe, die sich gut ins Bild einer Siegesparade einfügt.
Die internationale Gemeinschaft täte gut daran, Friedensinitiativen nicht an öffentlichen Gesten zu messen, sondern an deren Substanz. Zwischen Feuerpause und Friedensplan liegen Welten – und diese Differenz zu benennen, ist keine Drohung, sondern politische Ehrlichkeit.
OZD
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