Erstmals seit Wochen sind laut Angaben der Vereinten Nationen wieder nennenswerte Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangt. Rund hundert Lastwagen mit humanitärer Fracht erhielten von Israel die Einfahrtserlaubnis. Am Tag zuvor waren lediglich fünf UNO-Fahrzeuge zugelassen worden – ein Tropfen auf den heißen Stein.
Hintergrund ist eine seit Anfang März verhängte Blockkade, mit der Israel sämtliche humanitären Lieferungen in das von der radikalislamischen Hamas kontrollierte Gebiet gestoppt hatte. Internationale Hilfsorganisationen, die schon lange vor einer sich zuspitzenden Hungersnot gewarnt hatten, begrüßen die Lockerung, weisen jedoch darauf hin, dass der aktuelle Umfang der Lieferungen noch immer weit vom notwendigen Maß entfernt sei.
Israels Regierung unter Benjamin Netanjahu erklärte am Sonntag, man werde die Blockade teilweise aufheben. Netanjahu selbst sagte am Montag, eine Hungersnot müsse "auch aus diplomatischen Gründen" verhindert werden – eine bemerkenswerte Formulierung angesichts der humanitären Katastrophe vor Ort.
So erfreulich es auf den ersten Blick erscheinen mag: Die Genehmigung für hundert Lastwagen ist weniger ein Ausdruck humanitärer Einsicht als vielmehr das Resultat politischen Drucks. Netanjahu spricht offen davon, dass es in Israels Interesse liege, die Bilder von Massenhunger zu vermeiden – weil selbst Verbündete wie die USA sich von der kompromisslosen Gaza-Politik zunehmend distanzieren.
Zudem bleibt die Frage, ob diese Lieferungen mehr als eine kurzfristige symbolische Geste sind. Die Not im Gazastreifen ist immens. Mehr als zwei Millionen Menschen leben dort unter katastrophalen Bedingungen. Laut UNO bräuchte es täglich mehrere hundert Lastwagen, um den Grundbedarf der Bevölkerung zu decken. Die genehmigten hundert sind ein Anfang, aber keineswegs ausreichend.
Hinzu kommt: Während Lieferungen zugelassen werden, intensiviert Israel gleichzeitig seine militärischen Operationen. Die israelische Armee führt nach eigener Aussage "umfassende Bodeneinsätze im gesamten Gazastreifen" durch – mit dem erklärten Ziel, die Hamas endgültig zu zerschlagen. Netanjahu kündigte an, die Kontrolle über "das gesamte Territorium" übernehmen zu wollen – eine Aussage, die Völkerrechtler alarmiert.
Die humanitäre Lage im Gazastreifen steht exemplarisch für die politische und moralische Zerrissenheit des Nahostkonflikts. Die Öffnung für Hilfslieferungen wird als Fortschritt verkauft, obwohl sie in Wahrheit das absolute Minimum darstellt – erzwungen durch außenpolitischen Druck und internationale Empörung.
Die israelische Regierung instrumentalisiert Hunger als politisches Druckmittel und scheint erst dann zur Einlenkung bereit, wenn die internationale Bühne zu ungemütlich wird. Das Eingeständnis, aus „diplomatischen Gründen“ handeln zu müssen, entlarvt den zynischen Umgang mit menschlichem Leid.
Gleichzeitig wird durch die fortschreitende militärische Eskalation jede Perspektive auf eine langfristige Lösung untergraben. Wer „das gesamte Territorium“ militärisch kontrollieren will, aber keine politische Lösung anbietet, riskiert nicht nur die Zukunft der Palästinenser, sondern auch die Sicherheit Israels selbst.
Der Gaza-Konflikt bleibt eine der größten moralischen und politischen Herausforderungen unserer Zeit. Solange humanitäre Hilfe an strategische Erwägungen gebunden ist, bleibt jeder Hoffnungsschimmer von Bitterkeit überlagert.
OZD
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Bild: AFP