Israels rechts-religiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu droht weiter zu zerfallen. Am Mittwoch erklärte auch die Schas-Partei, sie werde nicht länger Teil der Regierung sein. Vorausgegangen war die Ankündigung der Armee, 54.000 Einberufungsbefehle an ultraorthodoxe Juden zu versenden – ein politisches Beben, das nun zu ernsthaften Rissen im Kabinett führt.
Bereits zwei Tage zuvor hatte die Partei Vereinigtes Thora-Judentum (VTJ) angekündigt, ihre Ministerämter niederzulegen und die Regierung zu verlassen. Damit verliert Netanjahus Lager eine entscheidende Stütze. Während Schas erklärte, kein Misstrauensvotum gegen die Regierung unterstützen zu wollen, steht deren Rückhalt in der Knesset auf tönernen Füßen: Ohne Schas bleiben von 120 Sitzen nur noch 49 der Koalition klar zuzurechnen.
Oppositionsführer Yair Lapid forderte Ministerpräsident Netanjahu am Mittwoch unmissverständlich zum Rücktritt auf. „Eine Minderheitsregierung kann keine Soldaten aufs Schlachtfeld schicken“, sagte Lapid in einem Videostatement. „Diese Regierung ist nicht mehr legitim. Die Zeit für Neuwahlen ist gekommen.“
Der Streitpunkt liegt in einer jahrzehntelangen Sonderregelung: Während in Israel für Männer und Frauen Wehrpflicht gilt, blieben strengreligiöse Talmud-Schüler bislang verschont. Doch der Gaza-Krieg und der enorme Bedarf an Soldaten verändern die Debatte. Nach einem Urteil des Obersten Gerichts aus dem Juni 2023 müssen nun auch Ultraorthodoxe eingezogen werden – ein Tabubruch für die religiösen Koalitionspartner.
Laut Schätzungen leben etwa 1,3 Millionen ultraorthodoxe Juden in Israel – rund 14 Prozent der jüdischen Bevölkerung. Etwa 66.000 junge Männer sind im wehrfähigen Alter. Sie sehen sich zunehmend unter Druck gesetzt. Ihre politischen Vertreter sehen in der Einberufung einen Angriff auf ihre Identität und Lebensweise.
Ob Netanjahu diese Krise politisch übersteht, ist mehr als fraglich. Noch klammert er sich an die Macht – doch seine einst so stabile Koalition steht auf der Kippe.
OZD
OZD-Kommentar
Die religiöse Karte, auf der Benjamin Netanjahu über Jahre seine Macht aufbaute, zerbricht ihm nun in der Hand. Die Einberufung ultraorthodoxer Männer in die Armee ist nicht nur ein juristischer Zwang, sondern ein politischer Sprengsatz – und der detoniert nun mit voller Wucht.
Die Regierung Netanjahu taumelt am Abgrund. Schas und Vereinigtes Thora-Judentum sind weg, die Mehrheit dahin – und der Premier versucht, sich mit vagen Zusicherungen und Zeitspiel zu retten. Doch eine Regierung, die nicht mehr über die Truppenstärke entscheiden kann, ist nicht mehr handlungsfähig.
Israel steckt mitten im Krieg – außen wie innen. Die Glaubensfrage wird zur Machtfrage. Und Netanjahu hat keine Antwort mehr. Dass er dennoch bleibt, zeigt nur eins: Die Angst vor dem Machtverlust ist größer als jede Einsicht. Doch der Preis dafür könnte das Vertrauen in Israels Demokratie sein.
„Endlich bröckelt diese unheilige Koalition. Religion darf kein Schutzschild vor Pflichten sein.“ Hat
„Ultraorthodoxe müssen genauso dienen wie alle anderen. Gleichheit ist keine Verhandlungssache.“ Bonn
„Netanjahu klammert sich an die Macht, während das Land brennt. Wann endet dieses absurde Schauspiel?“ Dagmar B.
Was ist die Schas-Partei?
Die Schas-Partei ist eine strengreligiöse, sephardisch-orthodoxe Partei in Israel. Sie vertritt insbesondere die Interessen ultraorthodoxer Juden orientalischer Herkunft. Seit Jahrzehnten spielt sie eine Schlüsselrolle in wechselnden Regierungskoalitionen. Schas setzt sich für traditionelle jüdische Werte, religiöse Bildung und Sozialleistungen ein. Im aktuellen Streit um die Einberufung von Ultraorthodoxen in die Armee sieht sie ihre Grundprinzipien verletzt.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.