Mit einem überraschenden diplomatischen Vorstoß hat die Türkei neue Bewegung in den festgefahrenen Ukraine-Krieg gebracht: Außenminister Hakan Fidan schlug am Freitag bei einem Besuch in Kiew ein dreiseitiges Spitzentreffen zwischen US-Präsident Donald Trump, Russlands Präsident Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor – in Istanbul, noch in diesem Jahr. Der Gastgeber solle Präsident Recep Tayyip Erdogan sein.
„Wir glauben wirklich, dass es möglich ist, die ersten und zweiten direkten Gespräche in Istanbul mit einem Treffen zwischen Herrn Trump, Herrn Putin und Herrn Selenskyj zu krönen“, sagte Fidan wörtlich. Ziel sei ein dauerhafter Frieden, der „noch vor dem Jahresende“ erreicht werden könne. Man könne nicht länger „die Augen vor diesem Krieg verschließen“.
Der Kreml wies den Vorschlag umgehend zurück. Zwar betonte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, dass Putin grundsätzlich offen für Gespräche auf höchster Ebene sei – doch zuerst müssten direkte Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine greifbare Ergebnisse bringen.
Fidan zeigte sich davon unbeeindruckt. Noch am Freitag wollte er sich mit Selenskyj treffen, nachdem er zuvor Gespräche mit russischen Regierungsvertretern geführt hatte. Die Türkei positioniert sich seit Kriegsbeginn als Vermittler und hatte bereits Mitte Mai Vertreter beider Seiten nach Istanbul geholt. Zwar scheiterte das Treffen inhaltlich, doch ein großer Gefangenenaustausch konnte vereinbart und inzwischen umgesetzt werden.
Russland kündigte für Montag eine zweite Verhandlungsrunde in Istanbul an. Die Ukraine zeigte sich offen, fordert jedoch klare Aussagen zu den russischen Friedensbedingungen. Ob es zu einem echten Durchbruch kommt, bleibt ungewiss – doch die Türkei zeigt, dass sie ihre Rolle als geopolitischer Vermittler weiter auszubauen versucht.
OZD
OZD-Kommentar: Das Minenfeld
Der türkische Vorschlag wirkt wie ein diplomatischer Paukenschlag – doch
was steckt dahinter? Erdogan, der selbst oft als Autokrat kritisiert
wird, will sich nun als Architekt des Weltfriedens inszenieren. Der
Plan, Trump, Putin und Selenskyj an einen Tisch zu bringen, klingt nach
historischer Größe, doch die Realität sieht düster aus. Putins Ablehnung ist deutlich, die ukrainische Skepsis nachvollziehbar – und Trump? Der US-Präsident ist nicht bekannt für multilaterale Kompromisse, sondern für Inszenierungen und Eskalation.
Was wie ein Geniestreich wirkt, könnte sich als taktisches Manöver entpuppen: Erdogan nutzt die globale Bühne, um sich selbst als Friedensmacher zu inszenieren – in einer Region, in der er selbst Einfluss durch Machtpolitik ausübt. Dabei ist klar: Ein echter Frieden braucht mehr als ein Fototermin in Istanbul. Er braucht Kompromisswillen, Opferbereitschaft und internationales Vertrauen. Das alles fehlt derzeit.
Dass die Türkei erneut als Vermittler auftritt, zeigt ihre Ambitionen. Aber solange der Kreml weiter auf Bedingungen pocht, die für die Ukraine unannehmbar sind, wird jeder Gipfel zur Farce. Die Idee klingt visionär – doch der Weg zum Frieden bleibt ein Minenfeld.
OZD-Analyse
1. Vorschlag der Türkei für ein Spitzentreffen
a) Teilnehmer:
– US-Präsident Donald Trump
– Russlands Präsident Wladimir Putin
– Ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj
– Vermittlung durch Recep Tayyip Erdogan in Istanbul
b) Zielsetzung:
– Direkte Gespräche zur Beendigung des Ukraine-Kriegs
– Ankündigung eines möglichen Friedens vor Jahresende
– Politische Signalwirkung für die internationale Bühne
2. Reaktion aus Russland
– Kreml lehnt Dreier-Gipfel ab
– Putin grundsätzlich offen für Verhandlungen
– Bedingung: Zuerst konkrete Fortschritte bei direkten Russland-Ukraine-Gesprächen
3. Diplomatische Aktivitäten im Hintergrund
– Fidan reiste zuvor nach Moskau
– Gespräch mit Selenskyj in Kiew am Freitag
– Türkei vermittelt seit Kriegsbeginn mehrfach zwischen Russland und Ukraine
4. Frühere Gespräche und Verhandlungsbasis
– Erstes bilaterales Gespräch in Istanbul im Mai ohne Annäherung
– Immerhin: erfolgreicher Gefangenenaustausch nach Verhandlungen
– Russland kündigte neue Gesprächsrunde für Montag an
5. Rolle der Türkei im geopolitischen Kontext
– Will sich als globaler Vermittler profilieren
– Nutzt geostrategische Lage für diplomatische Einflussnahme
– Erdogan positioniert sich zwischen NATO, Russland und islamischer Welt
Was ist der Karlspreis?
Der Internationale Karlspreis zu Aachen
wird seit 1950 an Persönlichkeiten oder Institutionen verliehen, die
sich um die europäische Einigung verdient gemacht haben. Preisträger
waren u. a. Konrad Adenauer, Emmanuel Macron, Papst Franziskus und
Wolodymyr Selenskyj.
Wer ist Recep Tayyip Erdogan?
Recep Tayyip Erdogan
ist seit 2003 in der Türkei an der Macht, zunächst als Premierminister,
seit 2014 als Präsident. Er gilt als autoritärer Führer, der
innenpolitisch hart durchgreift, außenpolitisch aber geschickt Allianzen
formt. Im Ukraine-Konflikt versucht er, sich als Vermittler zwischen
Ost und West zu etablieren.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
Dieser Premium-Artikel wird gesponsert von Tchibo
Vielen Dank!