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Absurd: Misstrauensantrag gegen von der Leyen im EU-Parlament - Mit Kommentar

Erstmals seit Jahren steht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Zentrum eines Misstrauensvotums. Die Initiative kommt aus dem rechten Lager – doch ein Erfolg gilt als äußerst unwahrscheinlich.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss sich kommende Woche einem Misstrauensvotum im Europäischen Parlament stellen. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola informierte die Fraktionsspitzen am Mittwoch über den Antrag, der von einem rumänischen Abgeordneten aus der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) eingebracht wurde. Mindestens 72 Abgeordnete unterzeichneten den Antrag – genug, um eine Abstimmung zu erzwingen. Die Debatte ist für Montag angesetzt, die Abstimmung folgt am Donnerstag in Straßburg.

Die Gründe für den Misstrauensantrag sind vielfältig: Im Fokus stehen vor allem die umstrittenen Textnachrichten, die von der Leyen während der Corona-Pandemie mit dem Pfizer-Chef austauschte. Zudem werfen die Initiatoren der Kommissionspräsidentin eine angebliche Einmischung der EU in die Präsidentschaftswahl in Rumänien und intransparente Entscheidungen beim EU-Finanzierungsprogramm für Verteidigungsausgaben vor.

Brisant: Die EKR-Fraktion, der unter anderem die italienische Fratelli d’Italia, Polens PiS, die Partei des französischen Rechtsextremen Eric Zemmour und Spaniens Vox angehören, distanzierte sich offiziell von dem Antrag. „Das ist keine Initiative unserer Gruppe“, erklärte ein Sprecher gegenüber afp.

Ein Erfolg des Misstrauensvotums ist äußerst unwahrscheinlich. Für einen Sturz der Kommission wäre eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig – eine Hürde, die bislang noch nie genommen wurde. Sollte der Antrag dennoch angenommen werden, müsste die gesamte EU-Kommission zurücktreten. In der Geschichte der EU ist das bisher noch nie durch ein Misstrauensvotum passiert: 1999 trat die Kommission Santer nach Korruptionsvorwürfen freiwillig zurück, bevor es zur Abstimmung kam. ozd



Kommenta:  Absurd?

Das Misstrauensvotum gegen Ursula von der Leyen ist ein politisches Signal – aber kaum mehr. Die Vorwürfe rund um die Impfstoff-Beschaffung und angebliche Einflussnahme sind zwar brisant, doch die breite Mehrheit im Parlament steht hinter der Kommissionspräsidentin. Die Initiative zeigt aber, wie groß die Spannungen zwischen den politischen Lagern im Europaparlament inzwischen sind.

Ursula von der Leyen steht an der Spitze einer Institution, die oft mächtiger wirkt, als sie tatsächlich agieren kann. Die EU-Kommission soll Europas Interessen bündeln, Kompromisse orchestrieren und zugleich auf demokratische Legitimität achten. Doch aktuell bröckelt dieses Ideal – und die Kritik an von der Leyens Führungsstil wird lauter.

Ihr Umgang mit zentralen Themen wie digitaler Regulierung, Gesundheitsverträgen oder Verteidigungsausgaben wirft Fragen auf. Als während der Corona-Pandemie der Kontakt zur Pharmaindustrie nicht transparent dokumentiert wurde, geriet sie ins Kreuzfeuer. Später plante sie milliardenschwere Verteidigungsprogramme, ohne das EU-Parlament vorab zu involvieren. Entscheidungen dieser Tragweite, abseits parlamentarischer Mitsprache, nähren den Vorwurf: Von der Leyen regiert nach innen mit harter Hand, doch nach außen fehlt ihr das Feingefühl.

Besonders deutlich wird das am Beispiel Rumänien. Der Vorstoß eines Abgeordneten, ein Misstrauensvotum gegen sie zu initiieren, mag keine reale Chance haben – aber die Symbolkraft ist enorm. Osteuropäische Staaten pochen seit Jahren auf Gleichbehandlung, politische Ernsthaftigkeit und Anerkennung als gleichwertige Partner. Wenn Brüssel aber nach westlichen Mustern entscheidet und kommuniziert, ohne auf regionale Differenzen einzugehen, wird aus technokratischer Führung schnell gefühlte Bevormundung.

Ursula von der Leyen muss sich fragen lassen: Ist das Ziel eines geeinten, starken Europas noch glaubwürdig, wenn Führung ohne Vertrauen auskommt? Führung in Europa verlangt Balance. Sie muss souverän sein, aber nicht abgehoben. Konsequente Entscheidungen sind wichtig, aber nicht um jeden Preis. Was Europa in diesen Zeiten braucht, ist eine Kommissionspräsidentin, die nicht nur gestaltet, sondern integriert. Nicht nur entscheidet, sondern zuhört.

Denn eines ist sicher: Ohne echtes Vertrauen in Brüssel wird die EU auf Dauer nicht funktionieren – ganz gleich, wer an der Spitze steht. ozd


Erklärungen

Misstrauensvotum: Parlamentarisches Verfahren, mit dem das Vertrauen in die Regierung oder Kommission entzogen werden kann. Im EU-Parlament ist dafür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

EKR: Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, umfasst verschiedene rechte und nationalkonservative Parteien.

EU-Kommission: Exekutive der Europäischen Union, geleitet von der Kommissionspräsidentin.


Biographien und Institutionen

Ursula von der Leyen: Seit 2019 Präsidentin der EU-Kommission, zuvor deutsche Verteidigungsministerin.

Roberta Metsola: Präsidentin des Europäischen Parlaments.

EKR: Rechte Fraktion im EU-Parlament mit Mitgliedern aus Italien, Polen, Frankreich und Spanien.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild afp


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