Die Tonlage ist deutlich: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bei ihrem Besuch in Peking die chinesische Führung unmissverständlich gewarnt, dass die Zukunft der Beziehungen zur Europäischen Union maßgeblich vom Verhalten gegenüber Russland abhängt. „Wie China weiterhin mit Putin interagiert, wird ein entscheidender Faktor für unsere künftigen Beziehungen sein“, sagte sie am Donnerstag nach Gesprächen mit Staatschef Xi Jinping. China müsse seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss nutzen, „um Russland dazu zu bringen, eine Waffenruhe zu akzeptieren, an den Verhandlungstisch zu kommen und dem Blutvergießen ein Ende zu setzen“.
Gemeinsam mit EU-Ratspräsident António Costa war von der Leyen zu einem hochrangigen Besuch in die chinesische Hauptstadt gereist. Anlass war das 50-jährige Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen der EU und der Volksrepublik. Doch statt Festtagslaune prägten geopolitische Spannungen, Menschenrechtskritik und massive wirtschaftliche Differenzen die Agenda.
Besonders kritisch bewertete die EU-Führung das Handelsdefizit mit China, das sich im vergangenen Jahr auf rund 360 Milliarden US-Dollar belief. Von der Leyen bezeichnete diese Schieflage als „untragbar“ und forderte strukturelle Korrekturen. Die EU wirft Peking seit Längerem vor, den europäischen Markt mit subventionierten Produkten zu überschwemmen, während europäische Firmen in China mit zahlreichen Hürden zu kämpfen haben.
Auch die Menschenrechtslage in China war Thema der Gespräche. „Der Schutz der Menschenrechte ist für die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit anderen Ländern zentral, das schließt auch China ein“, sagte Ratspräsident Costa. Die EU habe ihre „Bedenken klar angesprochen“ – besonders in Bezug auf die Situation in Xinjiang, Hongkong und Tibet. Konkrete Fortschritte oder Zusagen blieben allerdings aus.
Ob Chinas Führung die Brüsseler Mahnungen ernst nimmt, ist fraglich. Peking pflegt seit Beginn des russischen Angriffskriegs enge wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen zu Moskau und hat sich nie offen gegen den Krieg in der Ukraine gestellt. Der Besuch der EU-Spitzen fällt daher in eine Zeit wachsender Unsicherheit – sowohl in sicherheitspolitischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. oz
OZD-Kommentar
Ursula von der Leyen hat Peking die Wahrheit ins Gesicht gesagt – höflich, aber unmissverständlich. Der Krieg in der Ukraine ist nicht nur eine europäische Tragödie, sondern auch ein globaler Prüfstein für Moral, Diplomatie und Machtpolitik. Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Und China schweigt nicht – es lächelt, liefert, stützt.
Dass die EU die Beziehungen zu China nun offen an die Haltung gegenüber Putin koppelt, ist längst überfällig. Zu lange hat Brüssel gehofft, dass gute Worte allein Wandel bringen. Doch Pekings Nähe zu Moskau ist kein diplomatischer Ausrutscher – sie ist Kalkül. Wirtschaftlich hat China aus dem Ukraine-Krieg profitiert, politisch spielt es sich als Vermittler auf, ohne jemals klar Partei für das Völkerrecht zu ergreifen.
Doch auch Brüssel muss ehrlich sein. Die Abhängigkeit von chinesischen Waren ist keine Naturgewalt, sondern das Resultat jahrzehntelanger Ignoranz gegenüber unfairem Wettbewerb. Wer jetzt ein „untragbares“ Handelsdefizit beklagt, sollte sich fragen, warum man es so lange ertragen hat.
Die klare Botschaft an Peking: Wer auf zwei Hochzeiten tanzt – Menschenrechte ignoriert und Autokraten schützt –, kann nicht zugleich strategischer Partner der EU bleiben. Ob Xi Jinping das als Drohung oder Einladung versteht, liegt ganz bei ihm.
OZD-Analyse
1. Die neue EU-Strategie gegenüber China
– Künftige Beziehungen werden laut von der Leyen an Pekings Russland-Politik geknüpft
– Klare Forderung: China soll auf Russland einwirken, Waffenruhe und Verhandlungen unterstützen
– Signal: China kann nicht gleichzeitig Partner Europas und Rückhalt Putins sein
2. Streitpunkte im Detail
a) Wirtschaftliche Ungleichgewichte –
– Handelsdefizit der EU mit China 2023: rund 360 Mrd. US-Dollar
– Vorwurf: staatlich subventionierte chinesische Produkte verzerren den Wettbewerb
– Europäische Firmen klagen über mangelnden Marktzugang in China
b) Menschenrechte –
– EU spricht Missstände in Xinjiang, Tibet und Hongkong offen an
– Keine Zugeständnisse von chinesischer Seite bekannt
– Menschenrechte bleiben Zankapfel der Beziehungen
3. Chinas Nähe zu Russland
– China hat sich seit Kriegsbeginn nicht klar gegen Russland positioniert
– Wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau wurde ausgebaut
– Peking präsentiert sich rhetorisch als Friedensvermittler – ohne konkrete Schritte
Wer ist Ursula von der Leyen?
Ursula von der Leyen ist seit 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission. Die CDU-Politikerin war zuvor deutsche Verteidigungsministerin und ist als überzeugte Europäerin bekannt. Unter ihrer Führung setzt die Kommission verstärkt auf eine geopolitische Ausrichtung und Positionierung der EU als globaler Akteur. Besonders im Ukraine-Krieg profilierte sie sich als harte Stimme gegenüber Russland – nun versucht sie auch gegenüber China eine klare Linie zu ziehen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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