Die Ukraine hat Russland überraschend zu neuen direkten Gesprächen eingeladen. Das Treffen solle bereits in der kommenden Woche stattfinden, erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft am Samstag. "Es muss neuer Schwung in die Verhandlungen über eine Waffenruhe kommen", sagte er – während in der Ukraine erneut Raketen einschlugen und drei Menschen getötet wurden. Kiew wolle nicht länger nur reagieren, sondern handeln – diplomatisch, aber entschlossen.
Bereits im Mai und Juni hatte es Kontakte zwischen beiden Ländern in Istanbul gegeben, doch abgesehen vom Austausch von Kriegsgefangenen und der Rückgabe getöteter Soldaten blieb der diplomatische Ertrag gering. Russland blieb bei seinen Maximalforderungen: ein Ende aller westlichen Waffenlieferungen, der vollständige Rückzug der ukrainischen Truppen aus den annektierten Gebieten Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson – Bedingungen, die Selenskyj erneut als "völlig inakzeptabel" zurückwies.
Der ukrainische Präsident zeigte sich dennoch offen für ein persönliches Gipfeltreffen mit Kremlchef Wladimir Putin. "Ein Treffen auf Führungsebene ist notwendig, um wirklich einen dauerhaften Frieden zu erreichen", sagte Selenskyj. Ob Putin darauf eingeht, bleibt offen – der Kreml hatte sich zuletzt grundsätzlich gesprächsbereit gezeigt, jedoch ohne konkrete Zusagen.
Die Initiative Selenskyjs folgt auf das von US-Präsident Donald Trump gesetzte 50-Tage-Ultimatum an Russland. Sollte bis dahin keine Waffenruhe erreicht werden, will Washington mit massiven Sekundärsanktionen gegen russische Verbündete wie China und Indien vorgehen. Gleichzeitig kündigte Trump weitere Patriot-Lieferungen an – finanziert von Deutschland und anderen EU-Staaten. Parallel dazu beschloss Brüssel ein 18. Sanktionspaket gegen Russland.
Während Diplomatie im Raum steht, tobt der Krieg weiter. In der Nacht zum Samstag feuerte Russland nach ukrainischen Angaben 344 Drohnen und 35 Raketen ab. 208 davon seien abgefangen worden. Doch in Dnipropetrowsk kamen zwei Menschen ums Leben, als eine Klinik, eine Schule und eine Kultureinrichtung zerstört wurden. In Odessa starb eine Frau bei einem Drohnenangriff, zivile Infrastruktur wurde schwer getroffen.
Auch Russland meldete neue Angriffe: In der Grenzregion Rostow seien sechs ukrainische Gleitbomben und 349 Drohnen abgefangen worden. Der Zugverkehr wurde unterbrochen, ein Bahnmitarbeiter verletzt, Passagiere mussten stundenlang ausharren. Während die Gewalt eskaliert, steht die Frage im Raum: Können Gespräche inmitten des Krieges wirklich Frieden bringen?
OZD
OZD-Kommentar
Ein Gesprächsangebot mitten im Feuerhagel – das ist mutig oder naiv. Wolodymyr Selenskyj scheint zu ahnen, dass der Ukraine langsam die Luft ausgeht. Nicht militärisch – aber politisch. Das Ultimatum der USA hat Bewegung gebracht, doch an den Fronten sterben weiter Menschen. Die russische Position ist zementiert, Putins Armee feuert nahezu täglich auf ukrainische Städte. Und dennoch: Diplomatie muss eine Chance haben.
Die Frage ist, ob ein Präsident wie Putin überhaupt noch an einer echten Verhandlungslösung interessiert ist. Oder ob Moskaus Zusage zur Gesprächsbereitschaft nur Taktik ist, um Zeit zu gewinnen. Der Westen steht nun vor einem Dilemma: Entweder er setzt auf den Selenskyj-Pfad – oder auf weiteren militärischen Druck. Ein Erfolg der Verhandlungen wäre ein geopolitisches Wunder. Ein Scheitern jedoch hätte verheerende Folgen.
noch Keine
OZD-Analyse
1. Die neue Gesprächsinitiative
Die Ukraine versucht, das Momentum nach dem US-Ultimatum zu nutzen.
Kiew bietet Verhandlungen an, will eine Waffenruhe erreichen.
Selenskyj ist bereit zu einem persönlichen Treffen mit Putin.
— b) Ziel ist nicht ein sofortiger Frieden, sondern die Einleitung eines Waffenstillstands.
— c) Ort und Zeit des möglichen Treffens sind bislang unklar.
2. Die russische Position
Moskau verlangt den vollständigen Rückzug aus den annektierten Gebieten.
Weitere Forderung: Einstellung aller westlichen Militärhilfen an die Ukraine.
Der Kreml zeigt sich prinzipiell gesprächsbereit – ohne konkrete Zusagen.
— b) Der Zeitpunkt wirkt bewusst gewählt: kurz nach Trumps 50-Tage-Frist.
— c) Beobachter vermuten strategisches Kalkül hinter Russlands Gesprächsoffenheit.
3. Das diplomatische Umfeld
Die USA drohen mit neuen Sanktionen gegen Russlands Partnerstaaten.
Neue Patriot-Systeme für Kiew sollen vor allem von Europäern bezahlt werden.
Die EU beschloss ein neues, schärferes Sanktionspaket.
— b) Die Ukraine versucht, diesen Druck für diplomatische Fortschritte zu nutzen.
— c) Ob dies gelingt, ist angesichts der fortgesetzten Gewalt ungewiss.
Was ist das 18. EU-Sanktionspaket?
Das 18. Sanktionspaket der Europäischen Union gegen Russland umfasst verschärfte Maßnahmen gegen Einzelpersonen, Unternehmen sowie russische Rohstoffexporte. Ziel ist es, Russlands Kriegswirtschaft weiter zu schwächen. Es beinhaltet Exportbeschränkungen, Einreiseverbote, das Einfrieren von Vermögenswerten und neue Handelsverbote in strategisch relevanten Sektoren. Die EU reagiert damit auf die zunehmenden russischen Angriffe gegen zivile Ziele in der Ukraine.
Wer ist Wolodymyr Selenskyj?
Wolodymyr Selenskyj ist seit 2019 Präsident der Ukraine. Der frühere Schauspieler und Comedian wurde zum Gesicht des ukrainischen Widerstands gegen die russische Invasion ab Februar 2022. International gilt Selenskyj als Symbol für den Freiheitskampf eines kleineren Staates gegen einen militärisch übermächtigen Gegner. Innenpolitisch steht er zunehmend unter Druck – sowohl wegen Korruptionsvorwürfen gegen Teile seiner Regierung als auch wegen der schwierigen militärischen Lage.
Was ist das 50-Tage-Ultimatum von Donald Trump?
US-Präsident Donald Trump kündigte Anfang Juli ein 50-Tage-Ultimatum an Russland an. Sollte Moskau bis dahin keinen Waffenstillstand in der Ukraine umsetzen, drohen die USA mit schweren Sekundärsanktionen gegen Länder wie China oder Indien, die mit Russland wirtschaftlich kooperieren. Gleichzeitig stellte Trump neue Militärhilfen in Aussicht – allerdings auf Kosten der europäischen Partner. Die Maßnahme hat die diplomatische Dynamik erheblich verändert.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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