Die Sorge um eine mögliche Verbreitung von Polioviren in Deutschland wächst: In mehreren Städten, darunter Dresden, Mainz, München und Stuttgart, wurden über Wochen hinweg erneut Spuren abgeschwächter Polioviren im Abwasser festgestellt. Das teilte das Robert-Koch-Institut (RKI) am Donnerstag in Berlin mit. Es handelt sich dabei um Viren, die ursprünglich aus Schluckimpfungen mit Lebendimpfstoff stammen – Impfstoffe, die in Deutschland seit 1998 nicht mehr verwendet werden.
Dass solche Nachweise im Abwasser überhaupt möglich sind, liegt daran, dass mit dem Virus geimpfte oder infizierte Personen den Erreger über den Stuhl ausscheiden. Die wiederholten Funde deuten laut RKI darauf hin, dass es sich nicht um einmalige Einträge handelt, sondern um wiederkehrende oder kontinuierliche Einträge aus bestimmten Bevölkerungsgruppen – vermutlich aus dem Ausland eingereisten Personen, die dort noch mit dem Schluckimpfstoff behandelt wurden.
Bisher wurde trotz der viralen Funde kein klinischer Fall von Poliomyelitis – der gefürchteten Kinderlähmung – in Deutschland bekannt. Die bisher entdeckten Viren gelten als abgeschwächt, doch das Risiko bleibt: In sehr seltenen Fällen können sich diese sogenannten Impfviren genetisch verändern und wieder krankheitsauslösend werden – besonders für Menschen, die nicht oder nur unzureichend gegen Polio geimpft sind.
Gesundheitsexperten warnen, dass auch vollständig geimpfte Personen das Virus zwar nicht selbst ausbrüten, aber dennoch weiterverbreiten können. Das verstärkt die Bedeutung von Frühwarnsystemen. Seit Mai 2021 untersucht ein Forschungsprojekt an zehn Kläranlagenstandorten in Deutschland regelmäßig das Abwasser auf Polioviren. Die Methode gilt als hochempfindlich und soll helfen, einen drohenden Ausbruch möglichst frühzeitig zu erkennen. ozd
OZD-Kommentar
Was wie eine ferne Bedrohung aus vergangenen Jahrhunderten klingt, rumort längst wieder im Untergrund – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Nachweise von Polioviren im Abwasser erinnern uns brutal daran, wie fragil unser Schutzwall gegen einst besiegte Krankheiten ist. Dass diese Viren aus dem Ausland eingeschleppt werden, ist ein globales Versäumnis: Eine Krankheit kann sich heute mit dem Flugzeug verbreiten, bevor ein Patient überhaupt Symptome zeigt. Deutschland ist derzeit noch sicher – doch ein einziger Impflücken-Herd kann zur Katastrophe werden. Die Bundesregierung muss dringend die Impfquoten stabilisieren und die Überwachung ausweiten, bevor aus dem Frühwarnsystem ein Spätalarm wird. Wer glaubt, Polio sei Geschichte, wird möglicherweise bald eines Schlimmeren belehrt.
Das Risiko, sich in Deutschland durch Abwasser mit Polio (Kinderlähmung) zu infizieren, ist äußerst gering. Zwar wurden in mehreren Städten abgeschwächte, aus Schluckimpfungen stammende Polioviren im Abwasser nachgewiesen, doch bislang gab es keine Polio-Erkrankungen oder Verdachtsfälle in Deutschland
Der Hauptgrund für das geringe Risiko ist die hohe Polio-Impfquote und die guten Hygienebedingungen in Deutschland. Wer vollständig gegen Polio geimpft ist, ist bestmöglich geschützt und kann selbst bei Kontakt mit dem Virus nicht erkranken. Die Übertragung des Virus erfolgt hauptsächlich über Schmierinfektionen, etwa durch Kontakt mit kontaminiertem Wasser oder Oberflächen, nicht durch das bloße Vorhandensein im Abwasser.
Für ungeimpfte oder nicht ausreichend geimpfte Personen besteht in sehr seltenen Fällen ein Risiko, insbesondere wenn die Viren länger zirkulieren und mutieren. Daher raten Fachleute, den eigenen Impfschutz zu überprüfen und gegebenenfalls aufzufrischen.
OZD-Analyse
1. Hintergrund der Funde:
Der beste Schutz ist ein vollständiger Impfschutz, ergänzt durch konsequente Händehygiene und allgemeine Vorsicht im Umgang mit potenziell kontaminierten Flächen und Gegenständen.
a) Polioviren aus Schluckimpfungen mit abgeschwächtem Lebendimpfstoff
– In Deutschland seit 1998 nicht mehr verwendet
– Nachweise stammen vermutlich von Geimpften aus dem Ausland
2. Gesundheitsrisiken:
a) Keine klinischen Fälle in Deutschland gemeldet
– Abschwächung der Viren kann sich in seltenen Fällen zurückentwickeln
– Risiko für Ungeimpfte oder nicht vollständig Geimpfte besteht
3. Frühwarnsystem durch Abwasseranalyse:
a) Seit 2021 an zehn Standorten in Deutschland etabliert
– Erkennt Polioviruszirkulation frühzeitig
– Bietet wertvolle Daten zur Seuchenvorsorge
Was ist Poliomyelitis (Kinderlähmung)?
Poliomyelitis ist eine durch Polioviren verursachte Infektionskrankheit, die das zentrale Nervensystem angreift und bei schweren Verläufen Lähmungen oder den Tod verursachen kann. Vor Einführung der Impfungen waren weltweit jährlich zehntausende Menschen betroffen, vor allem Kinder. Die Krankheit ist hochansteckend und wird meist über Schmierinfektionen weitergegeben. In Deutschland gilt Polio als ausgerottet, doch die Gefahr einer Wiedereinführung durch Reisende oder unzureichenden Impfschutz bleibt bestehen.
Was ist das Robert-Koch-Institut (RKI)?
Das RKI ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention. Es hat seinen Sitz in Berlin und ist dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt. Das Institut erfasst Infektionskrankheiten, führt Studien zur öffentlichen Gesundheit durch und gibt Empfehlungen für den Umgang mit Seuchen, Epidemien und Impfprogrammen. Im Fall von Polioviren dient es als zentrale Kontrollinstanz und Koordinationsstelle für den nationalen Gesundheitsschutz.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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