Mehr als drei Jahre nach der Flutkatastrophe im Ahrtal zieht die Landesregierung Rheinland-Pfalz disziplinarrechtliche Konsequenzen gegen den früheren Landrat Jürgen Pföhler (CDU). Nach einem internen Ermittlungsbericht, der gravierende Pflichtverletzungen belegt, sollen seine Ruhestandsbezüge vorläufig um ein Drittel gekürzt werden. Das teilte Innenminister Michael Ebling (SPD) dem Innenausschuss des Mainzer Landtags mit. Ziel sei letztlich die vollständige Aberkennung der Pension.
Der Bericht bescheinigt Pföhler „schwere Verstöße gegen beamtenrechtliche Pflichten“ während seiner Amtsführung im Juli 2021, als eine der schwersten Naturkatastrophen der deutschen Nachkriegsgeschichte über Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hereinbrach. Allein im Ahrtal starben 135 Menschen, hunderte wurden verletzt, zahlreiche Orte verwüstet.
Besonders in der Kritik steht Pföhlers Verhalten als Mitglied des Krisenstabs des Landkreises Ahrweiler. Der nun vorliegende Disziplinarbericht wirft ihm Verstöße gegen die sogenannte Einsatzpflicht und das innerdienstliche Wohlverhalten vor – beides zentrale Verpflichtungen des Beamtenrechts. Die Landesregierung kündigte an, das laufende Disziplinarverfahren mit dem Ziel weiterzuführen, Pföhler sämtliche Ruhestandsbezüge abzuerkennen.
Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Ex-Landrat hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz bereits im April 2024 eingestellt. Begründung: Die Flut sei nicht vorhersehbar gewesen, und auch bei pflichtgemäßem Handeln hätten sich die Schäden und Todesopfer kaum vermeiden lassen. Doch beamtenrechtlich gelten andere Maßstäbe: Hier geht es nicht um strafrechtliche Schuld, sondern um dienstliches Verhalten im Amt.
Seit Ende der strafrechtlichen Ermittlungen wurde das Disziplinarverfahren wieder aufgenommen, das zuvor geruht hatte. Jürgen Pföhler war nach der Flutkatastrophe vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden. Ob ihm der vollständige Pensionsverlust droht, hängt nun vom weiteren Verlauf der Anhörungen und der möglichen Disziplinarklage ab. ozd
OZD-Kommentar:
Dass Ex-Landrat Jürgen Pföhler für sein Versagen während der Flutnacht im Ahrtal nun zumindest disziplinarrechtlich belangt werden soll, ist längst überfällig – und dennoch zu spät für die Opfer. Die Bilder der zerstörten Orte, der toten und verletzten Menschen brannten sich tief ins kollektive Gedächtnis – ebenso wie das Gefühl, dass Behördenversagen Menschenleben gekostet haben könnte. Dass die Staatsanwaltschaft keine strafrechtliche Relevanz erkennen konnte, ist ein juristisches Faktum – doch moralisch bleibt das Versagen bestehen. Ein Drittel weniger Pension? Das ist ein Anfang. Aber für eine politische Kultur der Verantwortung braucht es mehr: nämlich Rückgrat und echte Konsequenzen, auch ohne richterlichen Zwang. ozd
OZD-Analyse
1. Ausgangslage: Die Ahrtal-Katastrophe im Juli 2021
a) Naturereignis mit verheerenden Folgen
– Über 180 Tote insgesamt, davon 135 allein im Ahrtal
– Unwetter führte zu extremen Überschwemmungen
– Städte und Dörfer massiv zerstört, Infrastruktur zusammengebrochen
b) Rolle der Behörden
– Krisenstab im Landkreis Ahrweiler unter Leitung von Landrat Jürgen Pföhler
– Späte Warnungen, fehlende Evakuierungen
– Massive Kritik von Überlebenden, Politik und Medien
2. Juristische Bewertung und Disziplinarverfahren
a) Strafrechtlich eingestellt
– Keine Anklage, da Schäden auch bei pflichtgemäßem Verhalten „nicht sicher vermeidbar“
– Staatsanwaltschaft Koblenz stellte Verfahren im April 2024 ein
b) Disziplinarisch relevant
– Beamtenrecht kennt andere Maßstäbe
– Verstöße gegen Einsatzpflicht und Wohlverhaltenspflicht festgestellt
– Landesregierung strebt Aberkennung der Pensionsansprüche an
– Vorläufige Kürzung um ein Drittel beschlossen
3. Politische Dimension und Symbolwirkung
a) Innenminister Michael Ebling (SPD)
– Will politisches Signal der Verantwortung senden
– Bericht offenbart tiefes Versagen innerhalb des Krisenmanagements
b) Bedeutung für die politische Kultur
– Konsequenzen im Beamtenrecht als wichtiges Signal
– Diskussion über politische Verantwortung über juristische Grenzen hinaus
Wer ist Jürgen Pföhler?
Jürgen Pföhler war langjähriger Landrat des Landkreises Ahrweiler (CDU) und leitete während der Flutkatastrophe im Juli 2021 den Krisenstab. Er stand in der Kritik, weil Warnungen spät erfolgten und Evakuierungen nicht eingeleitet wurden. Pföhler trat nach der Flut nicht öffentlich auf und wurde später in den Ruhestand versetzt. Gegen ihn wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, jedoch mangels Vorwerfbarkeit eingestellt. Nun drohen ihm disziplinarische Konsequenzen.
Was ist das Beamtenstatusgesetz?
Das Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) regelt bundeseinheitlich die Rechte und Pflichten von Beamten. Es enthält u.a. die Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung, zur vollen Hingabe an den Beruf, das Verbot der Illoyalität gegenüber dem Dienstherrn sowie die Einsatzpflicht in Notlagen. Bei Verstößen drohen Disziplinarmaßnahmen, die bis zur Aberkennung der Ruhestandsbezüge reichen können.
Das Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) ist ein deutsches Bundesgesetz, das die grundlegende Rechtsstellung der Beamtinnen und Beamten der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände regelt. Es trat am 1. April 2009 in Kraft und löste das frühere Beamtenrechtsrahmengesetz weitgehend ab.
Das Gesetz legt die sogenannten Statusrechte und -pflichten der Beamten fest. Dazu gehören unter anderem:
Die grundlegende Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses: Wer kann Beamter werden, wie erfolgt die Berufung, Versetzung oder Entlassung.
Rechte und Pflichten: Beamte haben besondere Treuepflichten gegenüber dem Staat, müssen unparteiisch und gerecht handeln und sich mit vollem persönlichen Einsatz ihrem Beruf widmen.
Wechsel zwischen Dienstherren: Das Gesetz regelt auch den länderübergreifenden Wechsel oder den Wechsel in die Bundesverwaltung.
Das Beamtenstatusgesetz bildet damit die zentrale rechtliche Grundlage für das Beamtenverhältnis auf Landes- und Kommunalebene in Deutschland und sorgt für einheitliche Rahmenbedingungen im öffentlichen Dienst. Spezifische Regelungen für Bundesbeamte finden sich im Bundesbeamtengesetz, während die Landesbeamtengesetze weitere Details für die jeweiligen Bundesländer regeln.
Lesermeinung:
" Ach, wie beruhigend: In Deutschland hat selbst nach einer Jahrhundertkatastrophe alles seine geregelten Bahnen. Da wird nicht etwa politische Verantwortung übernommen oder gar echte Konsequenz gezeigt – nein, wir kürzen erstmal ganz vorläufig ein Drittel der Ruhestandsbezüge. Das tut bestimmt ordentlich weh, zumal der Herr Ex-Landrat ja schon im wohlverdienten Ruhestand ist.
Disziplinarverfahren, Anhörungen, Sachstandsberichte – das klingt nach viel Papier und wenig Wirkung. Und während die Betroffenen im Ahrtal noch immer auf Hilfe und Aufarbeitung warten, zeigt der Beamtenapparat, wie man mit maximaler Gründlichkeit und minimalem Risiko für die eigene Zunft durchs Verfahren laviert.
Aber immerhin: Die Einsatzpflicht und das innerdienstliche Wohlverhalten sind jetzt wieder in aller Munde. Vielleicht gibt es ja demnächst ein Fortbildungsseminar für Krisenstäbe – am besten mit Kaffee, Kuchen und einem Vortrag über die Kunst des gepflegten Aussitzens." ba
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.