Es sind Szenen, die Angst machen: Ein junger Mann schlägt im vollen ICE mit Hammer und Beil auf Mitreisende ein – vier Menschen werden schwer verletzt. Nur das beherzte Eingreifen von Fahrgästen verhindert Schlimmeres. In einem Land, das auf funktionierende Infrastruktur und Rechtsstaatlichkeit vertraut, ist das eine Zäsur.
Die Tat ist auf den ersten Blick so irrational wie brutal. Der 20-jährige Syrer – mehrfach vorbestraft in Österreich – war zur Tatzeit offenbar unter Drogen. Ob er "Allahu Akbar" sagte, wie ein Zeuge berichtet, ist nicht mehr als ein Puzzlestück. Denn bislang fehlen konkrete Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund. Auch das gehört zur Wahrheit: In der Erregung über solche Gewalttaten verwischen sich oft die Grenzen zwischen Vermutung und Fakt.
Trotzdem: Diese Attacke wirft ernste Fragen auf. Warum konnte ein Mann mit zwei rechtskräftigen Urteilen wegen Gewalt in einem Zug durch Deutschland reisen – mit tödlichen Waffen im Gepäck? Warum war er trotz laufendem Asylaberkennungsverfahren nicht besser überwacht? Und warum sind in einem Hochgeschwindigkeitszug keine präventiven Sicherheitskontrollen vorgesehen?
Klar ist: Der Rechtsstaat darf nicht wegblicken. Wer wiederholt straffällig wird – egal welcher Herkunft –, muss mit Konsequenzen rechnen. Der Staat hat eine doppelte Verantwortung: Schutz vor Gewalt und ein faires Verfahren für jeden, auch für Schutzsuchende. Eine gescheiterte Integration wie in diesem Fall darf nicht zur Regel werden.
Doch ebenso klar muss sein: Die Tat eines Einzelnen darf nicht zur Projektionsfläche für pauschale Vorurteile gegenüber Geflüchteten werden. Die Täter sind nicht „die Syrer“, nicht „die Flüchtlinge“. Sie sind Einzelfälle – und ihre Zahl darf nicht den gesellschaftlichen Kompass verstellen.
Was dieser Vorfall zeigt, ist beides: die Verwundbarkeit unserer offenen Gesellschaft und die Stärke ihrer Reaktion. Mutige Passagiere haben Leben gerettet. Jetzt liegt es an Politik und Justiz, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen – entschlossen, sachlich und frei von Ressentiments.
OZD
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Bild: AFP