Philipp Lahm, Weltmeister von 2014 und Turnierdirektor der EM 2024, hat eindringlich mehr Engagement für den deutschen Frauenfußball gefordert. In seiner Kolumne für die „Zeit“ warnte der 41-Jährige, Deutschland müsse „aufpassen, Schritt zu halten“. Der Eindruck von der gerade zu Ende gehenden Frauen-EM sei deutlich: „Zwar trat das Team als Einheit auf, aber die herausragenden Spielerinnen kommen inzwischen woanders her.“
Die deutsche Auswahl hatte es in der Schweiz bis ins Halbfinale geschafft und war dort unglücklich mit 0:1 nach Verlängerung an Spanien gescheitert. Dabei überzeugte das Team von Bundestrainer Christian Wück vor allem mit Einsatz, Leidenschaft und Defensivorganisation – spielerisch aber wirkten andere Nationen weiter. Lahm zieht eine Parallele zur Entwicklung der Männer-Nationalmannschaft in den 80er- und 90er-Jahren: „Damals war viel von deutschen Tugenden die Rede, so wie jetzt bei den Frauen. Die Männer machten dann aber irgendwann die Erfahrung, dass diese nicht mehr genügen.“
Der DFB hatte damals auf die sportliche Stagnation reagiert und seine Nachwuchsarbeit umfassend reformiert. Das Ergebnis: Eine spielstarke, technisch versierte Generation, die 2014 den Weltmeistertitel holte. Genau diesen strukturellen Wandel fordert Lahm nun auch für den Frauenfußball: „Warum werden in den Nachwuchszentren fast nur Jungs intensiv ausgebildet? Ein reiches Land wie Deutschland sollte seine Ressourcen gleichmäßig verteilen.“
Lahm verweist in diesem Zusammenhang auf den jüngst abgeschlossenen Ausrüster-Deal mit Nike, der dem DFB zweistellige Millioneneinnahmen sichert. Diese Mittel müssten nun zielgerichtet in den Frauenbereich investiert werden, so Lahm. „Andere Länder haben früher reagiert, dort profitiert der Sport längst: Die Spielerinnen sind athletischer geworden, schießen besser, dribbeln schneller.“
Vor dem EM-Finale am Sonntag zwischen England und Spanien sieht Lahm die Weichenstellung für Deutschlands Zukunft im Frauenfußball als überfällig: „Der Frauenfußball ist längst Volkssport. Es ist ein idealer Moment, um in ihn zu investieren.“
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OZD-Kommentar:
Philipp Lahm spricht aus, was viele denken – und der DFB ignoriert: Der deutsche Frauenfußball droht international abgehängt zu werden. Halbfinale hin oder her – spielerisch fehlt es an Tempo, Kreativität und Technik. Lahms Analyse trifft ins Mark: Es reicht nicht mehr, sich auf Teamgeist und Kampf zu verlassen. Während andere Nationen längst auf moderne Ausbildung und gezielte Talentförderung setzen, wird in Deutschland weiter in alten Strukturen gedacht. Der größte Skandal: Nachwuchszentren investieren fast ausschließlich in Jungs – dabei liegt die Zukunft im Gleichgewicht. Der DFB schwimmt im Geld, verweigert aber mutige Reformen. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, wird der nächste EM-Zyklus zur Bruchlandung. Lahm liefert den Fingerzeig – der Verband muss jetzt liefern. Sonst verliert man eine Generation.
Lesermeinungen
„Lahm hat völlig recht – der DFB muss endlich Gleichberechtigung auch im Nachwuchs ernst nehmen.“ Denies
„Man kann nicht den Nike-Deal feiern und dann sagen, fürs Frauenförderprogramm fehlt das Geld.“ Karla Lang
„Das Halbfinale war täuschend – fußballerisch ist Deutschland nicht mehr in der Weltspitze.“ Ludger Schröd
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OZD-Analyse
1. Der Zustand des deutschen Frauenfußballs – Zwischen Euphorie und Realität
– Halbfinaleinzug bei der EM 2025 ist ein Achtungserfolg.
– Spielerisch jedoch fehlten Tempo, Technik und Torgefahr.
– Spanien und England zeigen, wohin sich der moderne Frauenfußball bewegt.
2. Lahms Kritik am DFB – gut begründet und längst überfällig
a) Nachwuchszentren:
– Förderung fast ausschließlich für Jungen.
– Kaum systematische Ausbildung weiblicher Talente.
– Fehlende Perspektiven für junge Mädchen – trotz boomender Ligen.
b) Ressourcenverteilung:
– Millionen aus TV-Verträgen und Nike-Deal fließen nur bedingt in den Frauenbereich.
– Keine klare Investitionsstrategie – der DFB bleibt hinter seinen Möglichkeiten.
3. Vorbild Männerfußball – aus Fehlern lernen
– Die DFB-Reform nach der EM 2000 war entscheidend für den Titel 2014.
– Gelingt eine vergleichbare Reform für den Frauenbereich?
4. Der internationale Vergleich – Deutschland unter Zugzwang
– Spanien, England und Frankreich setzen auf gezielte Talentförderung ab dem Kindesalter.
– In Deutschland dominieren veraltete Strukturen – Trainingsqualität, Technikförderung und Scouting hinken hinterher.
5. Ausblick – was jetzt passieren muss
– Aufbau eigener Nachwuchsleistungszentren für Mädchen.
– Klare Förderquote für weibliche Talente.
– Transparente Verwendung von Sponsorengeldern.
– Öffentliche Verpflichtung des DFB zur Gleichberechtigung im Leistungsfußball.
Wer ist Philipp Lahm?
Philipp Lahm ist ein ehemaliger deutscher Fußballspieler, der mit der Nationalmannschaft 2014 in Brasilien Weltmeister wurde. Er gilt als einer der intelligentesten und vielseitigsten Außenverteidiger der Fußballgeschichte. Nach seiner aktiven Karriere ist er unter anderem als Turnierdirektor für die EM 2024 in Deutschland tätig und engagiert sich regelmäßig mit gesellschafts- und sportpolitischen Kommentaren.
Was ist der DFB?
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ist der Dachverband des Fußballs in Deutschland. Er organisiert unter anderem die Nationalmannschaften, den DFB-Pokal sowie die Frauen-Bundesliga und ist für die Ausbildung und Förderung von Talenten im deutschen Fußball zuständig. Der DFB ist einer der mächtigsten Fußballverbände der Welt und verwaltet ein umfangreiches Budget, das zunehmend auch für Gleichstellungsprojekte und Jugendförderung eingesetzt werden soll.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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