Die Nachrichtenagenturen AP und Reuters zeigen sich erschüttert über den Tod eigener Mitarbeitender im Gazastreifen. AP bestätigt den Tod der 33-jährigen freien Fotojournalistin Mariam Dagga. Reuters meldet, dass Hussam al-Masri bei Angriffen auf das Nasser-Krankenhaus im Süden des Gazastreifens getötet wurde; Hatem Chaled wurde verletzt. Zuvor hatte Al-Dschasira den Tod des Journalisten Mohammed Salama bekannt gegeben. Der von der Hamas kontrollierte Zivilschutz spricht von insgesamt 20 Toten, darunter fünf Journalisten.
Die palästinensische Journalistengewerkschaft nennt als weitere Opfer Moas Abu Taha und Ahmad Abu Asis; nach AFP-Angaben arbeitete Abu Taha mit palästinensischen und internationalen Medien.
Die israelische Armee (IDF) kündigt eine Untersuchung an und betont, „Journalisten als solche“ würden nicht gezielt angegriffen. Bereits vor rund zwei Wochen starben bei einem israelischen Angriff vier Journalisten und zwei freie Mitarbeitende von Al-Dschasira, darunter Anas al-Scharif; NGOs und die UNO verurteilten die Tötungen. Seit Kriegsbeginn (7. Oktober 2023) wurden nach Angaben von CPJ und Reporter ohne Grenzen rund 200 Journalistinnen und Journalisten getötet.
Erklärung
Journalistinnen und Journalisten sind im bewaffneten Konflikt zivil geschützt. Ihre Arbeit – dokumentieren, verifizieren, informieren – ist Voraussetzung für öffentliche Kontrolle. Urbaner Krieg, Angriffe in Krankenhausnähe und dicht besiedelten Gebieten erhöhen das Risiko dramatisch; umso höher ist die Sorgfaltspflicht der militärisch Handelnden: Zielauswahl, Kollateralschadensabschätzung, „Deconfliction“-Kanäle, No-Strike-Listen (u. a. für Medienstandorte) und funktionierende Warnketten sind Mindeststandard.
Wenn binnen kurzer Zeit wiederholt Medienschaffende sterben, genügt der pauschale Hinweis, man nehme „Journalisten nicht ins Visier“, nicht. Entscheidend ist, ob Verfahren und Befehlsketten in der Praxis Leben schützen – gerade an sensiblen Orten wie einem Krankenhauskomplex.
Deutung
Die Häufung der Fälle deutet weniger auf Einzelfehler als auf systemisches Versagen beim Schutz von Pressepersonal. Angriffe in unmittelbarer Nähe medizinischer Infrastruktur und das wiederholte Sterben ausgewiesener Medienmitarbeitender untergraben die Glaubwürdigkeit der Beteuerung, alles Zumutbare zur Vermeidung ziviler Opfer zu tun.
Zudem hat das Muster „Erst Schlag, dann interne Untersuchung“ einen abschreckenden Effekt: Reporter ziehen sich zurück, Berichterstattung wird löchriger, Kriegsparteien handeln in größerer Intransparenz. Das schadet nicht nur der Wahrheitspflicht, sondern auch jeder Seite, die Legitimität beansprucht. Wer Zivil- und Presse-schutz nicht nachweislich priorisiert, zahlt einen hohen moralischen, rechtlichen und strategischen Preis.
Bewertung
Die Tötung von Journalistinnen und Journalisten ist unentschuldbar. Sie muss umgehend, unabhängig, transparent und ergebnisoffen aufgeklärt werden – mit Veröffentlichung von Zielauswahlkriterien, Einsatzprotokollen, Kommunikationslogs, Drohnen-/Satellitendaten sowie einer klaren Prüfung von Befehlsketten und Rules of Engagement. Wo Fahrlässigkeit, Pflichtverletzung oder Rechtsverstöße festgestellt werden, braucht es konkrete Konsequenzen: Disziplinarverfahren, strafrechtliche Schritte, Entschädigungen an Hinterbliebene und nachweisbare Reformen bei Zielprüfung, Deconfliction und Evakuierungsrouten.
Parallel sind präventive Maßnahmen zu stärken: permanente, verifizierte Medianetzlisten, geofencing-basierte Schutzradien um Medienstandorte, redundante Warnkanäle (Funk/SMS/Sat), sichere Ausrüstung und Bewegungsfenster für Crews sowie engere Koordination zwischen Militär und Redaktionen – ohne Informationszwang und ohne Preisgabe sensibler Quellen.
Die Verantwortung betrifft alle Konfliktparteien: Keine Seite darf Reporter bedrohen, instrumentalisieren oder an der Arbeit hindern. Doch wo staatliche Gewalt eingesetzt wird, ist der Sorgfaltsmaßstab besonders hoch. Solange die Schutzlücken bleiben, bleibt auch der Vorwurf bestehen: Nicht nur Menschen, auch die Wahrheit gerät unter Beschuss.
OZD
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Bild: AFP