Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat im Streit um Sozialreformen erstmals ein konkretes Sparziel beim Bürgergeld genannt. Zehn Prozent Einsparungen seien das Minimum, erklärte er am Dienstag in einem Interview mit Sat1. „Wenn wir uns nicht mehr trauen, in einem Transfersystem, das in die falsche Richtung läuft, zehn Prozent einzusparen, dann versagen wir vor dieser Aufgabe“, sagte Merz. Rechnerisch wären dies knapp fünf Milliarden Euro jährlich.
Die Union drängt wegen der hohen Kosten auf eine umfassende Reform der Sozialsysteme, die im Koalitionsvertrag mit der SPD festgeschrieben ist. Während Merz auf Kürzungen setzt, lehnen die Sozialdemokraten eine Absenkung des sozialen Schutzniveaus strikt ab. Dennoch zeigte sich der Kanzler zuversichtlich, dass mit der SPD eine Reform möglich sei. „Auch dort wird von mafiösen Strukturen im Bürgergeld-System gesprochen. Da gibt es Spielraum für Veränderungen“, betonte er.
Kritisch äußerte sich Merz über die jüngste Wortwahl von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD), die seine Aussagen als „Bullshit“ bezeichnet hatte. „Das ist nicht der Sprachgebrauch, den ich für die Koalition insgesamt akzeptieren möchte“, sagte Merz. Er habe Bas darauf hingewiesen, dass die Auseinandersetzung nicht „auf diesem Niveau“ fortgesetzt werden solle.
Die Sozialstaatsdebatte ist längst zum politischen Dauerstreit geworden. Während Merz auf „harte Reformen“ pocht, beharren SPD-Politiker darauf, die Stabilität des Systems nicht durch Kürzungen zu gefährden. Am Mittwoch will der Kanzler die Spitzen der Koalition im Kanzleramt empfangen, um konkrete Projekte für die kommenden Monate zu besprechen.
OZD
OZD-Kommentar
Merz geht aufs Ganze: Zehn Prozent weniger Bürgergeld – das klingt nach entschlossenem Handeln, ist aber ein politischer Drahtseilakt. Denn er riskiert den offenen Koalitionsbruch mit der SPD, die solche Kürzungen als Angriff auf das soziale Fundament betrachtet. Die Strategie ist klar: Merz will Härte demonstrieren, in Zeiten von Haushaltskrise und wachsender Kritik an Sozialausgaben. Doch ein System, das Millionen Menschen absichert, lässt sich nicht einfach mit der Axt beschneiden. Die Gefahr: Die Einschnitte treffen die Schwächsten, während sich die erhofften Einsparungen im milliardenschweren Bundeshaushalt kaum bemerkbar machen.
Lesermeinungen
"Endlich nennt Merz konkrete Zahlen – zehn Prozent sind das Mindeste." – Thomas Reiner., München
"Das ist unsozial. Einsparungen beim Bürgergeld sind eine Ohrfeige für die Ärmsten." – Jana Kranz, Köln
"Die SPD muss jetzt Rückgrat zeigen, sonst wird der Sozialstaat ausgehöhlt." – Mehmet Aschmat, Berlin
OZD-Analyse
Forderungen von Merz
– Kürzung des Bürgergelds um mindestens zehn Prozent
– Einsparvolumen: rund fünf Milliarden Euro jährlich
– Begründung: System laufe „in die falsche Richtung“
Reaktionen der SPD
– strikte Ablehnung von Leistungskürzungen
– Kritik an Merz’ „Sparkurs auf Kosten der Schwächsten“
– dennoch: Anerkennung von Missständen im System, etwa „mafiösen Strukturen“
Politische Dimension
– Debatte um Sozialstaat wird zunehmend emotional
– Gefahr eines Koalitionskonflikts vor den anstehenden Landtagswahlen
– Merz setzt auf Profilierung als Kanzler der „harten Reformen“
OZD-Erklärungen
Was ist das Bürgergeld?
Das Bürgergeld ist seit Januar 2023 die zentrale Grundsicherungsleistung in Deutschland. Es ersetzt das frühere Hartz-IV-System und soll Bedürftigen ein Existenzminimum sichern. Anspruch haben Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Neben Regelsätzen umfasst es auch Leistungen für Unterkunft und Heizung. Kritiker bemängeln zu geringe Anreize zur Arbeitsaufnahme, Befürworter sehen darin einen modernen und würdigeren Sozialstaat.
Wer ist Bärbel Bas?
Bärbel Bas ist SPD-Politikerin und seit Oktober 2021 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Sie gilt als erfahrene Sozialpolitikerin und war zuvor viele Jahre in der Gesundheitspolitik tätig. Ihre klare Wortwahl in der aktuellen Debatte – sie bezeichnete die Sparpläne als „Bullshit“ – sorgte bundesweit für Schlagzeilen und steht sinnbildlich für die verhärteten Fronten in der Sozialstaatsdiskussion.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.