Das Kabinett hat am Mittwoch ein milliardenschweres Entlastungspaket beschlossen: Ab 2026 sinkt die Stromsteuer für über 600.000 produzierende Betriebe sowie für Land- und Forstwirtschaft. Dazu kommt ein Zuschuss zu den Netzkosten, von dem auch Privathaushalte profitieren sollen. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) spricht von 26 Milliarden Euro Entlastung in den kommenden vier Jahren.
Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) betonte, damit würden Arbeitsplätze gesichert – „von der Schreinerei bis zum Industrieunternehmen“. Im Detail sollen die Mindereinnahmen durch die Stromsteuer 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2026 betragen, ab 2027 dann drei Milliarden jährlich.
Privathaushalte werden nicht direkt durch die Steuer, sondern über Netzkostenzuschüsse entlastet. Eine Familie könne mit bis zu 100 Euro weniger Stromkosten im Jahr rechnen, dazu kämen rund 50 Euro durch die Abschaffung der Gasspeicherumlage. Für diese Zuschüsse stellt die Regierung jährlich 6,5 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds bereit.
Doch Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Wirtschaftsverbände monieren, dass der Mittelstand von der Stromsteuersenkung ausgeschlossen bleibt. Der Verband Die Familienunternehmer sprach gar von „Mobbing“ durch die Regierung. Dabei hatten Union und SPD im Koalitionsvertrag noch eine Senkung der Stromsteuer „für alle“ vereinbart.
Kommentar
Die Bundesregierung verkauft ihr Strompreis-Paket als großen Wurf – in Wahrheit ist es ein politisches Flickwerk. Entlastet werden Konzerne und Landwirtschaft, während ein Großteil des Mittelstands leer ausgeht. Ausgerechnet die Unternehmen, die als Rückgrat der Wirtschaft gelten, fühlen sich nun im Stich gelassen. Und sie haben recht.
Die Botschaft ist fatal: Wer groß ist, wird gehört. Wer klein ist, zahlt weiter. Familien dürfen sich mit 100 Euro Ersparnis im Jahr trösten, ein Betrag, der angesichts explodierender Lebenshaltungskosten eher symbolisch wirkt. Statt echter Strukturreform gibt es Bonbons aus dem Klima- und Transformationsfonds – finanziert auf Pump, mit einer Haltbarkeit bis zur nächsten Krise.
Die Stromsteuer für alle zu senken, wäre ehrlich gewesen. Doch Mut zu klaren Entscheidungen scheint dieser Koalition zu fehlen. Am Ende bleibt das Gefühl: Die einen feiern Milliarden-Entlastungen, die anderen zahlen die Zeche.
Lesermeinungen
„100 Euro Entlastung im Jahr? Das reicht für einen halben Monat Stromrechnung. Danke für nichts!“ Alice Wertheim, Menden
„Mittelstand soll weiter bluten, während die Industrie Geschenke bekommt – das ist doch ein Witz.“ Olaf Krause, Recklinghausen
„Klingbeil und Reiche feiern Milliarden, aber wir sehen nur höhere Abschläge. Realitätsfern, wie immer.“ Beate Seidel, Kirchheim
OZD-Analyse
Umfang der Entlastung
a) Gesamtvolumen: 26 Milliarden Euro in vier Jahren.
b) Zuschuss zu Netzentgelten: 6,5 Milliarden Euro pro Jahr.
c) Stromsteuer-Mindereinnahmen: 1,5 Milliarden Euro (2026), danach 3 Milliarden jährlich.
Begünstigte Gruppen
a) Über 600.000 produzierende Betriebe, vom Handwerk bis zur Industrie.
b) Landwirtschaft und Forstwirtschaft.
c) Privathaushalte nur indirekt durch Netzkostenzuschüsse und Abschaffung der Gasspeicherumlage.
Entlastung für Haushalte
a) Stromkosten sinken um bis zu 100 Euro jährlich.
b) Zusätzlich rund 50 Euro Ersparnis durch Wegfall der Gasspeicherumlage.
c) Wirkung im Vergleich zu Gesamtenergiekosten eher gering.
Politische Einordnung
a) Koalitionsvertrag versprach Stromsteuersenkung „für alle“.
b) Umsetzung nun nur für bestimmte Sektoren.
c) Kritik von Wirtschaftsverbänden, insbesondere aus dem Mittelstand.
Gesellschaftliche Folgen
a) Industrie wird entlastet und international wettbewerbsfähiger.
b) Mittelstand fühlt sich benachteiligt, Gefahr von Investitionszurückhaltung.
c) Haushalte profitieren kaum spürbar, politische Glaubwürdigkeit leidet.
Erklärungen
Stromsteuer: Abgabe auf den Verbrauch von elektrischem Strom, eingeführt 1999 zur Förderung erneuerbarer Energien und Energieeffizienz.
Übertragungsnetzentgelte: Kosten für den Betrieb und Ausbau der Stromnetze, die auf Stromkunden umgelegt werden.
Klima- und Transformationsfonds (KTF): Sondervermögen der Bundesregierung zur Finanzierung von Klimaschutz- und Transformationsprojekten.
Gasspeicherumlage: Umlage zur Finanzierung der staatlich organisierten Gasreserven, die ab 2026 wegfällt.
Mittelstand: Bezeichnung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), gilt als Rückgrat der deutschen Wirtschaft.
Koalitionsvertrag: Vereinbarung der Regierungsparteien über politische Vorhaben in der Legislaturperiode.
OZD
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Titelbild AFP