Ein spektakulärer Fund wirbelt die Zeitachse der menschlichen Evolution durcheinander: Eine digitale Rekonstruktion eines eine Million Jahre alten, in China entdeckten Schädels deutet darauf hin, dass sich der Homo sapiens möglicherweise 400.000 Jahre früher als bisher angenommen von anderen menschlichen Vorfahren abgespalten hat – und das nicht in Afrika, sondern in Ostasien.
Die Ergebnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Science, legen nahe, dass es bereits vor einer Million Jahren mehrere Hominiden-Gruppen wie Neandertaler und Homo sapiens gab. „Unsere Vorfahren haben sich offenbar viel früher in verschiedene Gruppen aufgeteilt, was auf eine weitaus komplexere Evolution hinweist, als wir bislang dachten“, erklärte Chris Stringer, Anthropologe am Naturhistorischen Museum in London.
Damit gerät auch die seit Jahrzehnten dominierende These ins Wanken, wonach der Homo sapiens ausschließlich in Afrika entstand und sich von dort in die Welt ausbreitete. „Es könnte eine große Veränderung in der Forschung bevorstehen, da Ostasien eine zentrale Rolle in der Evolution der Hominiden spielen dürfte“, sagte Michael Petraglia, Direktor des Australischen Forschungszentrums für Menschliche Evolution.
Der Schädel war bislang einem Homo erectus zugeordnet worden. Doch die neue Rekonstruktion weist Merkmale sowohl des Homo longi als auch des Homo sapiens auf – beides Linien, die bislang deutlich später eingeordnet wurden. Die Studie eröffnet somit neue Einblicke in die kaum erforschte Epoche des mittleren Pleistozäns vor 774.000 bis 129.000 Jahren.
OZD
OZD-Kommentar
Dieser Fund ist ein Erdbeben für die Anthropologie. Seit Jahrzehnten
galt die „Out of Africa“-Theorie als unumstößlich – nun könnte sie Risse
bekommen. Ein Schädel, der nicht in Afrika, sondern in China den Homo
sapiens andeutet, stellt das Fundament der gängigen Evolutionserzählung
infrage. Sollte sich diese These erhärten, müsste die gesamte
Menschheitsgeschichte neu geschrieben werden. Doch Vorsicht: Solche
Erkenntnisse brauchen Jahre der Überprüfung, bevor sie als gesichert
gelten. Noch ist offen, ob es sich um eine parallele Entwicklung oder
eine frühe Abspaltung handelt. Klar ist jedoch: Die Evolution des
Menschen ist weitaus komplexer – und spannender – als bisher gedacht.
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OZD-Analyse
Bedeutung des Schädelfunds
– Alter: rund eine Million Jahre
– Rekonstruktion deutet auf Homo sapiens-Merkmale hin
– Könnte 400.000 Jahre frühere Abspaltung belegen
Auswirkungen auf die Evolutionstheorie
a) „Out of Africa“-Hypothese unter Druck
b) Ostasien gewinnt an Bedeutung für die Menschheitsgeschichte
c) Möglichkeit paralleler Linien wie Homo longi, erectus und sapiens
Offene Fragen der Forschung
– Handelt es sich um direkten Vorfahren des modernen Menschen?
– Welche Rolle spielten Vermischungen zwischen den Linien?
– Wie verbreitete sich Homo sapiens tatsächlich global?
Was ist das mittlere Pleistozän?
Das mittlere Pleistozän ist eine erdgeschichtliche Epoche, die etwa
774.000 bis 129.000 Jahre vor heute datiert. Sie gilt als entscheidende
Phase für die Evolution verschiedener Hominiden-Arten, darunter Homo
erectus, Neandertaler und frühe Formen des Homo sapiens. Viele Details
aus dieser Zeit sind noch unzureichend erforscht, weshalb neue Funde
große Bedeutung haben.
Was ist die Out-of-Afrika-Theorie?
Die Out-of-Afrika-Theorie ist die vorherrschende wissenschaftliche Erklärung für den Ursprung des modernen Menschen (Homo sapiens). Sie besagt, dass unsere Spezies vor etwa 200.000 Jahren in Afrika entstanden ist und sich von dort aus über die Welt verbreitet hat.
Im Zentrum der Theorie steht die Annahme, dass alle heute lebenden Menschen von einer kleinen Gruppe afrikanischer Vorfahren abstammen, die Afrika vor etwa 60.000 Jahren in einer großen Migrationswelle verließen. Diese Menschen breiteten sich über den Nahen Osten, Asien, Europa und später auch Australien und Amerika aus.
Die Theorie stützt sich auf mehrere Beweislinien:
Genetische Daten zeigen, dass die größte genetische Vielfalt in Afrika existiert – ein starkes Indiz dafür, dass der Ursprung dort liegt.
Fossilienfunde wie die Schädel von Omo Kibish und Herto in Äthiopien gehören zu den ältesten bekannten Vertretern von Homo sapiens.
Archäologische Spuren belegen frühe menschliche Aktivitäten in Afrika, lange bevor sie anderswo auftauchten.
Im Gegensatz dazu steht die Multiregionale Hypothese, die besagt, dass sich der moderne Mensch in verschiedenen Regionen der Welt parallel aus früheren Menschenarten entwickelte. Diese Idee wird heute jedoch weitgehend abgelehnt, da genetische Analysen eindeutig auf einen afrikanischen Ursprung hindeuten.
Kurz gesagt: Die Out-of-Afrika-Theorie erklärt, warum wir alle – egal ob in Europa, Asien oder Amerika – letztlich afrikanische Wurzeln haben.
In welcher Phase steckt die Menschheit jetzt?
Die Menscheit steckt in der Hyperära nach der Spätmoderne.
Mini-Infobox: Der Schädel von China
– Entdeckung: 1990 in China
– Alter: ca. 1 Mio. Jahre
– Früher Homo erectus zugeordnet
– Jetzt: Merkmale von Homo longi und Homo sapiens
– Könnte „Out of Africa“-Theorie infrage stellen
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.