Inmitten der Kritik an seinen umstrittenen „Stadtbild“-Äußerungen hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) beim EU-Westbalkan-Gipfel in London die Migration als „unverzichtbaren Bestandteil“ für Deutschlands Zukunft bezeichnet. „Wir brauchen auch in Zukunft Einwanderung – das gilt für Deutschland wie für alle Länder der Europäischen Union“, sagte Merz am Mittwoch nach dem Treffen mit den Regierungschefs aus Südosteuropa.
Er hob die Bedeutung von Migrantinnen und Migranten für den Arbeitsmarkt hervor: „Schon heute sind viele Menschen mit Migrationshintergrund unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes. Wir können auf sie gar nicht mehr verzichten – ganz gleich, woher sie kommen, welcher Hautfarbe sie sind oder in welcher Generation sie hier leben.“
Gleichzeitig sprach Merz erneut über die Sicherheitsprobleme in deutschen Städten, die er mit Personen ohne Aufenthaltsstatus in Verbindung brachte. „Probleme machen diejenigen, die nicht arbeiten, die sich nicht an unsere Regeln halten. Viele von diesen bestimmen auch das öffentliche Bild in unseren Städten“, sagte der Kanzler. Dadurch entstehe bei vielen Bürgern „ein Gefühl der Unsicherheit im öffentlichen Raum“.
Die Ursachen dieser Probleme müssten „endlich gelöst“ werden, forderte Merz. Er verwies auf die Rolle der Balkanländer als Hauptroute der Migration und betonte, die EU müsse gemeinsam mit diesen Staaten für eine bessere Kontrolle sorgen.
Am Gipfel in London nahmen neben Großbritannien und den EU-Staaten auch Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien teil. Merz kündigte an, dass das Thema Migration und Asylpolitik auch auf dem EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag im Mittelpunkt stehen werde.
Seine Aussagen erfolgten vor dem Hintergrund einer anhaltenden innenpolitischen Kontroverse. Nach seiner Bemerkung über den „veränderten Stadtcharakter“ durch Migration war Merz zuletzt von Politikern der Opposition, Menschenrechtsorganisationen und Kirchen der Diskriminierung und Pauschalisierung beschuldigt worden.
OZD-Kommentar:
Merz versucht den Spagat zwischen Anerkennung und Abgrenzung – und
riskiert dabei, genau das Vertrauen zu verlieren, das er gewinnen will.
Einerseits spricht er die Realität an, dass Deutschland ohne Migration
wirtschaftlich kaum überlebensfähig wäre. Andererseits bedient er mit
Formulierungen über das „öffentliche Bild der Städte“ eine Stimmung, die
mehr schadet als nützt. Statt über Angst zu reden, sollte die Regierung
über Chancen sprechen – über Integration, Bildung, Teilhabe. Denn wer
Menschen auf ihre Herkunft reduziert, löst kein Problem, sondern
verschärft es. Aber richtig ist auch, dass viele Menschen sich in manchen Gegenden nicht sicher und ausgegrenzt fühlen.
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Mini-Infobox:
Ort: London, EU-Westbalkan-Gipfel
Teilnehmer: EU-Staaten, Großbritannien, sechs Balkanländer
Kernaussage Merz: Migration „unverzichtbar“ für Arbeitsmarkt
Kritik: Äußerungen über „Stadtbild“ als diskriminierend bezeichnet
Nächster Termin: EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag
OZD-Analyse:
Politischer Kontext
– a) Merz steht innenpolitisch unter Druck wegen seiner Wortwahl.
– b) Er versucht, wirtschaftliche Notwendigkeit mit sicherheitspolitischer Härte zu verbinden.
– c) Das Thema Migration wird erneut zum Prüfstein für europäische Einheit.
Europäische Dimension
– a) Balkanroute bleibt Schlüsselthema der EU-Migrationspolitik.
– b) Kooperation mit Nicht-EU-Staaten gewinnt an strategischer Bedeutung.
– c) Druck auf Grenzschutz und Asylreformen wächst.
Gesellschaftliche Wirkung
– a) Aussagen von Spitzenpolitikern prägen Wahrnehmung und Vorurteile.
– b) Wirtschaft und Integration werden zunehmend politisiert.
– c) Merz’ Rhetorik könnte seine Kanzlerschaft langfristig belasten.
Wer ist Friedrich Merz?
Friedrich Merz ist seit 2025 Bundeskanzler
und Vorsitzender der CDU. Der frühere Fraktionschef gilt als
konservativer Modernisierer, der wirtschaftsliberale Positionen mit
ordnungspolitischer Strenge verbindet. Seine Rhetorik in der
Migrationsfrage sorgt regelmäßig für Kontroversen.
Was ist der EU-Westbalkan-Gipfel?
Der EU-Westbalkan-Gipfel
ist ein jährliches Treffen der EU mit den sechs Staaten des westlichen
Balkans. Ziel ist es, politische Stabilität, wirtschaftliche Kooperation
und eine Perspektive für einen EU-Beitritt der Region zu fördern – auch
im Kontext von Migration und Sicherheit.
OZD-Extras:
Fun-Fact: Der
EU-Westbalkan-Gipfel fand erstmals 2003 in Thessaloniki statt – damals
versprach die EU allen Teilnehmern eine „klare Beitrittsperspektive“.
Über 20 Jahre später wartet noch immer kein Land der Region auf den
Beitritt.**
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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