SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf hat die Einigung der schwarz-roten Koalition auf das neue Wehrdienst-Modell als „sehr gutes Signal“ bezeichnet. In den Sendern RTL und ntv betonte er am Donnerstag besonders die Freiwilligkeit des Dienstes – und die Tatsache, dass ein Losverfahren vor der Musterung endgültig vom Tisch sei. Die Bundeswehr müsse attraktiver werden, sagte Klüssendorf, und junge Menschen sollten überzeugt werden, freiwillig einzutreten. „Wir brauchen unbedingt mehr junge Menschen in der deutschen Bundeswehr.“
Nach Angaben aus Fraktionskreisen sieht das neue Modell vor, dass alle jungen Männer eines Jahrgangs gemustert werden. Sollte es jedoch nicht genügend Freiwillige geben, wäre in einem zweiten Schritt ein Losverfahren möglich, das entscheidet, wer tatsächlich einberufen wird. Genau dieses Element stößt auf Widerstand.
Die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann kritisierte das Losverfahren scharf. Es sei „beliebig“ und schaffe Unsicherheit, da junge Menschen nicht wüssten, ob sie am Ende gezogen würden oder nicht. Positiv wertete sie allerdings die Abkehr von einer generellen Dienstpflicht und die Konzentration auf Freiwilligkeit. Die Grünen wollen vor allem die Attraktivität des Dienstes erhöhen und jungen Menschen Perspektiven bieten.
Union und SPD wollen ihr Modell am Vormittag gemeinsam vorstellen. Der politische Streit um den richtigen Weg für die Bundeswehr dürfte jedoch weitergehen – denn die Balance zwischen Freiwilligkeit und möglichem Zwang bleibt heikel.
OZD
OZD-Kommentar:
Die SPD feiert, die Grünen warnen – und die Koalition verkauft der Öffentlichkeit ein Modell, das vor allem eines ist: ein politischer Balanceakt. Klüssendorf preist die Freiwilligkeit, doch dass ein Losverfahren überhaupt vorgesehen bleibt, zeigt, wie wenig Vertrauen die Regierung in die eigenen Anreize hat. Eine Armee, die junge Menschen per Glücksrad auswählt, wirkt eher verzweifelt als modern.
Die Grünen liegen hier nicht falsch: Wer ganze Jahrgänge mustert und dann zur Not den Zufall entscheiden lässt, erzeugt Unsicherheit statt Motivation. Ein Wehrdienst, der gleichzeitig freiwillig und potenziell verpflichtend ist, wirkt wie ein Konstrukt, das niemandem weh tun soll – und am Ende niemanden überzeugt.
Wenn die Regierung wirklich eine Attraktivitätsoffensive starten will, müsste sie ehrlich sein: besserer Alltag in den Kasernen, moderne Strukturen, klare Karrierewege. Freiwilligkeit funktioniert nur, wenn das Angebot stark genug ist. Solange aber politisch taktiert und an Hintertüren festgehalten wird, bleibt das Misstrauen bestehen. Frage: Was ist eigentlich mit den Frauen?
Mini-Infobox:
– Modell: Musterung ganzer Jahrgänge junger Männer
– Freiwilliger Wehrdienst, aber Losverfahren möglich
– Ziel: mehr Rekruten für die Bundeswehr
– Grüne kritisieren „Lotterie“
– SPD lobt Attraktivitätsstrategie
OZD-Analyse:
Strategie und Koalitionslogik
a) SPD betont Freiwilligkeit als politisch tragfähigen Weg.
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b) Union drängt auf Instrumente, die im Notfall Verbindlichkeit schaffen.
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c) Die Regierung versucht, maximale Flexibilität zu behalten, ohne offene Pflicht einzuführen.
Das Losverfahren als politisches Risiko
– Für viele junge Menschen wirkt es wie ein Eingriff in ihre Lebensplanung.
– Es schwächt das Narrativ des rein freiwilligen Systems.
– Kritiker sehen darin eine stille Rückkehr zur Wehrpflicht.
Attraktivitätsoffensive und Realität
a) Klüssendorf verweist auf steigende Freiwilligenzahlen.
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b) Experten fordern mehr als nur finanzielle Anreize – insbesondere bessere Strukturen.
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c) Vertrauen entsteht nur durch Stabilität, nicht durch Hintertüren und unklare Verfahren.
Wer ist Tim Klüssendorf?
Tim Klüssendorf ist seit 2023 Generalsekretär der SPD und gehört zum engeren Führungszirkel der Partei. Als enger Vertrauter der Parteivorsitzenden vertritt er häufig die Linie der SPD zu sozialen und sicherheitspolitischen Themen. Seine Positionierungen sollen innerparteiliche Geschlossenheit erzeugen und Konflikte mit der Union öffentlich abfedern.
Was ist ein Losverfahren im Wehrdienst?
Das Losverfahren dient als Auswahlmethode, wenn die Zahl der Freiwilligen nicht ausreicht. Unter den gemusterten tauglichen Männern entscheidet dann der Zufall, wer einberufen wird. Das Verfahren gilt als umstritten, weil es junge Erwachsene ohne Planungssicherheit trifft und faktisch einer Teilpflicht gleichkommen kann.
OZD-Extras
Fun-Fact: Auch in den 1980er-Jahren gab es Überlegungen, bei steigender Zahl Untauglicher ein Losverfahren einzuführen – umgesetzt wurde es jedoch nie.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.