Amazon hat vor dem EU-Gericht in Luxemburg eine deutliche Niederlage erlitten. Die Richter wiesen am Mittwoch die Klage des Konzerns gegen seine Einstufung als „sehr große Online-Plattform“ nach dem Gesetz für Digitale Dienste ab. Damit bleibt Amazon verpflichtet, strenge Auflagen zu erfüllen, die tief in das Geschäftsmodell des Onlinehändlers eingreifen. Der Eingriff in die unternehmerische Freiheit sei „gerechtfertigt“, heißt es im Urteil.
Als „sehr große Plattform“ gelten Dienste mit mehr als 45 Millionen aktiven Nutzerinnen und Nutzern pro Monat in der EU. Für sie gelten verschärfte Pflichten: Sie müssen gezielt gegen Falschinformationen vorgehen, Algorithmen für personalisierte Werbung offenlegen, nicht-profilerstellende Empfehlungssysteme anbieten und ein zugängliches Anzeigenarchiv führen. Zusätzlich müssen Daten für Forschung zugänglich gemacht werden.
Amazon hatte gegen den Beschluss der EU-Kommission aus dem Jahr 2023 geklagt, der den Amazon Store auf diese Liste setzte. Das Unternehmen sprach von Verletzungen fundamentaler Grundrechte – von der unternehmerischen Freiheit über das Eigentumsrecht bis hin zur Meinungs- und Informationsfreiheit sowie dem Recht auf Privatsphäre. Doch die Richter folgten dieser Argumentation nicht. Der Gesetzgeber habe davon ausgehen dürfen, dass Plattformen dieser Größe systemische Risiken bergen – inklusive der Verbreitung illegaler Inhalte und Verbrauchertäuschungen.
Dass die Pflichten für die
betroffenen Firmen erhebliche Kosten bedeuten, spiele dabei keine Rolle.
Die EU-Regeln sollten Risiken eindämmen, und die Einstufung über
Nutzungszahlen sei weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Neben
Amazon sind unter anderem der Apple App Store, Booking.com, Facebook,
Instagram sowie mehrere Google-Dienste betroffen. Bereits im September
war auch Zalando mit einer ähnlichen Klage gescheitert. Gegen das Urteil
kann Amazon noch vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.
OZD
Die Entscheidung aus Luxemburg ist ein Weckruf für Big Tech – und ein Meilenstein für Europas digitalen Regelstaat. Amazon hat versucht, sich mit Grundrechtsargumenten gegen Transparenz- und Sicherheitsauflagen zu wehren, doch das Gericht lässt keinen Zweifel: Wer so groß ist, trägt Verantwortung. Punkt.
Dabei geht es um weit mehr als juristische Feinheiten. Die EU markiert ihr Terrain gegenüber den Digitalkonzernen, die über Jahre ungebremst wuchsen, Märkte dominierten und algorithmische Systeme betrieben, deren Auswirkungen kaum jemand verstand. Dass Amazon diese Regulierung mit aller Macht bekämpft, zeigt, wie tief die Eingriffe tatsächlich gehen. Das Geschäftsmodell des Konzerns lebt von Daten, Personalisierung und intransparenten Prozessen – genau dort greift die EU jetzt hinein.
Brüssel sendet ein Signal: Die Zeit der Selbstregulierung ist vorbei. Wer in Europa Geld verdient, muss sich europäischen Regeln unterwerfen. Und die sind härter als alles, was Silicon Valley bisher akzeptieren musste. Doch das Urteil hat auch Schattenseiten: Europa muss aufpassen, sich nicht selbst in ein innovationsfeindliches Korsett zu zwingen. Zu viel Regulierung kann die digitale Souveränität genauso gefährden wie zu wenig Kontrolle.
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– Amazon bleibt offizielle „sehr große Plattform“
– Strenge Transparenz- und Werbeauflagen gelten weiter
– Nutzergrenze: 45 Mio. aktive EU-Nutzer pro Monat
– Gericht sieht „systemische Risiken“ bestätigt
– Auch Google, Meta, Apple und Booking betroffen
Amazon gegen die EU: ein Machtkampf mit Signalwirkung
– Die EU positioniert sich als globaler Vorreiter strenger Digitalregeln –
– große Plattformen werden als potenzielle Gefahr für Demokratie und Verbraucherschutz eingestuft –
– Amazon kämpft um Datenhoheit und wirtschaftliche Freiheit –
– Brüssel sucht die Balance zwischen Schutz und Innovation.
Neue Transparenzpflichten und ihre Folgen
– Offenlegung von Werbealgorithmen erschüttert Amazons Kernmodell –
– Anzeigenarchive machen Geschäftsstrategien sichtbarer –
– Empfehlungssysteme ohne Profiling treffen die Personalisierungslogik –
– möglicher Wettbewerbsdruck für kleinere Händler sinkt.
Auswirkungen auf die europäische Digitalpolitik
– Urteil stärkt die Durchsetzung des Digital Services Act –
– stärkt EU-Kommission in laufenden Verfahren gegen Tech-Giganten –
– erhöht Druck auf Plattformen zur Bekämpfung illegaler Inhalte –
– könnte zu nächsten Schritten im Digital Markets Act führen.
Was ist der Digital Services Act (DSA)?
Der DSA ist ein EU-Gesetzespaket, das große Onlineplattformen stärker
reguliert. Ziel ist die Bekämpfung illegaler Inhalte, mehr
Verbraucherschutz und Transparenz bei Algorithmen und Werbung. Für
besonders große Plattformen gelten drastisch verschärfte Regeln.
Was bedeutet „sehr große Online-Plattform“?
Plattformen mit mehr als 45 Millionen aktiven EU-Nutzern pro Monat
erhalten diesen Status. Dadurch unterliegen sie einer stärkeren Aufsicht
der EU, müssen Risiken bewerten, Daten offenlegen und umfangreiche
Schutzmaßnahmen einführen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
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Kurios: Amazon argumentierte, die strengeren EU-Regeln würden sogar
seine Meinungsfreiheit verletzen – ein bisher selten gehörter Vorstoß
eines Tech-Konzerns.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.