Die weltweite soziale Kluft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch vertieft. Ein am Dienstag in Paris veröffentlichter Bericht des Labors für weltweite Ungleichheiten zeigt, wie extrem sich Einkommen und Vermögen zugunsten der reichsten Bevölkerungsschichten verschoben haben. Die obersten zehn Prozent besitzen derzeit drei Viertel des globalen Vermögens und erzielen mehr als die Hälfte aller Einkommen. Die ärmere Hälfte der Menschheit kommt dagegen auf nur acht Prozent des weltweiten Einkommens und hält gerade einmal zwei Prozent des Vermögens.
Besonders steil ist der Anstieg bei den Superreichen: Die reichsten 0,001 Prozent – rund 56.000 Menschen – kontrollieren heute mehr als sechs Prozent des globalen Reichtums. Mitte der 90er Jahre lag dieser Anteil noch bei vier Prozent. Die Autoren des Berichts, darunter der Ökonom Thomas Piketty, sprechen von einer „rasanten“ Zunahme der Vermögenskonzentration. Seit den 1990er Jahren sei das Vermögen der Milliardäre jedes Jahr um etwa acht Prozent gestiegen – fast doppelt so schnell wie das Wachstum der gesamten unteren Hälfte der Weltbevölkerung.
Gleichzeitig zahlen die Wohlhabendsten im Verhältnis weniger Steuern als Menschen mit geringeren Einkommen. Die Forscher plädieren deshalb für eine internationale Mindeststeuer auf große Vermögen. Eine solche Maßnahme könne zwischen 0,45 und 1,11 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung einbringen – Geld, das dringend für soziale Investitionen benötigt werde. Dass politische Hürden diese Reform erschweren, zeigte zuletzt die französische Nationalversammlung: Sie lehnte die sogenannte Zucman-Steuer ab.
Auch die Einkommensentwicklung seit 1980 spiegelt die wachsende Schieflage wider. Während die ärmsten Bevölkerungsschichten jährlich um 1,8 Prozent zulegten, verzeichneten die reichsten zehn Prozent Zuwächse von bis zu drei Prozent. Die Mittelschicht erlebte mit einem Prozent pro Jahr das geringste Wachstum. Ursache ist unter anderem der schrumpfende Anteil der Arbeitseinkommen, der von 61 Prozent im Jahr 1980 auf 53 Prozent gefallen ist. Kapitaleinkommen gewannen im gleichen Zeitraum deutlich an Bedeutung.
Der Bericht stellt klar: Ungleichheit sei keine naturgegebene Entwicklung, sondern das Resultat politischer Entscheidungen. Sie könne durch Umverteilung, faire Besteuerung und gezielte soziale Investitionen verringert werden. Besonders kritisch fällt die Bewertung der globalen CO₂-Bilanz aus: Die reichsten zehn Prozent der Menschheit verursachen 77 Prozent der Emissionen, die auf privates Kapital zurückgehen. Die ärmere Hälfte trägt nur drei Prozent dazu bei.
Auch bei der Gleichstellung zeigt
sich ein ernüchterndes Bild: Weltweit verdienen Frauen im Schnitt nur 61
Prozent des Stundenlohns von Männern – und berücksichtigt man
unbezahlte Hausarbeit, bleiben ihnen nur 32 Prozent.
OZD
OZD-Kommentar – „Die Reichtumslawine rollt – und die Politik schaut zu“
Es ist ein Weckruf, den die Welt längst hätte hören müssen: Die Reichen werden reicher, die Armen bleiben abgehängt – und die politische Antwort darauf bleibt erschreckend schwach. Während die globale Elite ihren Reichtum in immer neue Höhen schraubt, kämpfen Millionen Menschen um elementare Stabilität. Dieser Bericht zeigt vor allem eines: Ungleichheit ist kein Naturgesetz, sie ist menschengemacht.
Die Schieflage wächst, weil Regierungen sie wachsen lassen. Weil Vermögen steuerlich geschont wird. Weil politischer Mut fehlt, die Macht der Superreichen zu begrenzen. Das Versagen hat Folgen: gesellschaftliche Spaltung, politische Radikalisierung, ein schwindendes Vertrauen in demokratische Institutionen. Wer glaubt, dass sich diese Dynamik irgendwann von selbst einpendelt, verkennt die Sprengkraft dieser Entwicklung.
Und der vielleicht bitterste Teil: Es wäre möglich, gegenzusteuern. Mit einer globalen Mindeststeuer. Mit gerechteren Verteilungsmechanismen. Mit Investitionen, die Chancen schaffen statt Ohnmacht. Doch solange Regierungen zögern, während Konzerne und Vermögensverwalter strategisch agieren, wird die Kluft weiter wachsen.
Die Geschichte kennt Wendepunkte. Dieser Bericht beschreibt einen – die Frage ist nur: Handeln wir jetzt oder erst, wenn die Kluft zur unüberwindbaren Schlucht geworden ist?

Mini-Infobox
Oberste 10 % besitzen 75 % des globalen Vermögens
Ärmere Hälfte bekommt nur 8 % des weltweiten Einkommens
Reichste 0,001 % kontrollieren über 6 % des Vermögens
Frauen verdienen im Schnitt 61 % der Männerlöhne
Reichste 10 % verursachen 77 % der CO₂-Emissionen aus Kapitalbesitz
OZD-Analyse
1. Wirtschaftliche Dynamik der Ungleichheit
– a) Abnehmender Anteil der Arbeitseinkommen –
– b) Dominanz von Kapitaleinkünften –
– c) strukturelle Schwäche der Mittelschichten –
2. Politische Ursachen der Vermögenskonzentration
– a) unzureichende Besteuerung großer Vermögen –
– b) schwache internationale Kooperation –
– c) wachsender Einfluss wirtschaftlicher Eliten –
3. Gesellschaftliche und ökologische Auswirkungen
– a) Polarisierung und Vertrauensverlust –
– b) CO₂-Ungleichheit und Klimarisiken –
– c) persistente Geschlechterungleichheit –

ErklärungenWas ist das Labor für weltweite Ungleichheiten?
Das „World Inequality Lab“ ist ein international besetztes Forschungszentrum an einer Pariser Wirtschaftshochschule. Es analysiert globale Vermögens- und Einkommensverteilungen und veröffentlicht jährliche Berichte, die als Grundlage für wirtschafts- und sozialpolitische Debatten dienen.
OZD-Extras
Bonusinfo:
Der Bericht wird von mehr als 100 Forschenden weltweit unterstützt –
darunter Ökonomen, Soziologen und Datenanalysten. Ziel ist es,
Regierungen durch präzise Daten zu einer gerechteren Politik zu bewegen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.