Der Rechtsstreit um Äußerungen des ehemaligen Oldenburger Polizeipräsidenten Johann Kühme zur AfD geht in die nächste Instanz. Die Polizeidirektion Oldenburg hat beim niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg beantragt. Zwar sehe sich die Behörde durch das Urteil „weitgehend bestätigt und bestärkt“, erklärte Polizeipräsident Andreas Sagehorn, doch halte man auch jene Aussagen Kühmes für zulässig, die vom Gericht beanstandet worden waren.
Hintergrund ist ein Zeitungsinterview aus dem August 2023, in dem sich Kühme zu Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und zur AfD geäußert hatte. Der niedersächsische Landesverband der AfD hatte daraufhin Klage gegen die Polizeidirektion erhoben. Das Verwaltungsgericht Oldenburg entschied im November, dass ein Polizeipräsident sich grundsätzlich öffentlich zu Fragen der inneren Sicherheit und zu Angriffen auf die demokratische Ordnung äußern dürfe. Zugleich sah das Gericht jedoch einzelne Aussagen als Verstoß gegen das Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot an.
Polizeipräsident Sagehorn verwies nun darauf, dass aus der schriftlichen Urteilsbegründung hervorgehe, dass ein Großteil der Aussagen seines Vorgängers zulässig gewesen sei. Die Polizei sei nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, öffentlich auf Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung hinzuweisen – auch dann, wenn dies eine politische Partei betreffe. Zudem betone das Gericht selbst, dass die Aussagen im „Gesamtkontext“ zu bewerten seien. Genau daraus leite die Polizeidirektion ihre Entscheidung ab, auch die kritisierten Passagen weiter für rechtmäßig zu halten.
Mit der Berufung landet der Fall nun vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg. Dort dürfte grundlegend geklärt werden, wie weit die öffentliche Wortmeldung hochrangiger Polizeibeamter gehen darf, wenn es um politische Parteien und den Schutz der demokratischen Ordnung geht. OZD / ©AFP.
OZD-Kommentar – Wenn Neutralität auf Verantwortung trifft
Dieser Fall berührt den Kern staatlicher Selbstverständigung. Polizei soll neutral sein – aber nicht blind. Wenn Sicherheitsbehörden Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung erkennen, müssen sie diese benennen dürfen. Gleichzeitig darf der Staat nicht zum politischen Akteur werden. Das Verwaltungsgericht hat diese Gratwanderung anerkannt, aber eng gezogen. Die Berufung ist folgerichtig, denn die entscheidende Frage bleibt offen: Wo endet Neutralität, und wo beginnt staatliche Verantwortung? Das Urteil aus Lüneburg könnte bundesweit Maßstäbe setzen.
Mini-Infobox
– Polizeidirektion Oldenburg beantragt Berufung
– Streit um AfD-Äußerungen eines Polizeipräsidenten
– Verwaltungsgericht sah teils Neutralitätsverstoß
– Polizei hält alle Aussagen für zulässig
– Entscheidung nun beim OVG Lüneburg
OZD-Analyse
Juristische Kernfrage
– a) Abgrenzung zwischen Meinungsäußerung und Amtspflicht
– b) Bedeutung des Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebots
– c) Kontextbewertung als entscheidender Faktor
Rolle der Polizei
– a) Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
– b) Öffentlichkeitsarbeit als Präventionsinstrument
– c) Gefahr politischer Vereinnahmung
Politische Tragweite
– a) AfD als wiederkehrender Streitgegenstand
– b) Signalwirkung für andere Behörden
– c) Möglicher Präzedenzfall für ganz Deutschland
Wer ist Johann Kühme?
Johann Kühme war Polizeipräsident in Oldenburg. Mit einem Interview im
Jahr 2023 löste er eine juristische Auseinandersetzung über die Grenzen
öffentlicher Äußerungen von Polizeiführungskräften aus.
Was ist das Neutralitätsgebot?
Das Neutralitätsgebot verpflichtet staatliche Organe, sich
parteipolitisch neutral zu verhalten. Gleichzeitig dürfen sie sich zu
Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung äußern, sofern
dies sachlich und verhältnismäßig geschieht.
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.
OZD-Extras
Das Oberverwaltungsgerichtsurteil könnte künftig bundesweit Einfluss
darauf haben, wie offen Sicherheitsbehörden über politische Extremismen
sprechen dürfen.