... Trotz aller Turbulenzen spricht Merz von einer Regierung der Mitte. Doch wie fest sitzt er wirklich im Sattel?
Friedrich Merz ist am Dienstag vom Deutschen Bundestag zum Bundeskanzler gewählt worden – aber erst im zweiten Wahlgang. Damit ist er der erste Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik, der die nötige Mehrheit im ersten Anlauf verfehlte. Bei der späteren Amtsübergabe im Kanzleramt sprach er dennoch kämpferisch von einem "Tag mit einigen Überraschungen" und hob hervor, dass Deutschland nun wieder über eine handlungsfähige Regierung mit parlamentarischer Mehrheit verfüge.
Seine neue Regierung besteht aus CDU/CSU und SPD – einer sogenannten "Koalition der Mitte". Olaf Scholz, sein scheidender Vorgänger, übergab das Amt mit einem Rückblick auf die Unwägbarkeiten des Kanzleramts und zitierte Angela Merkel: „Man weiß morgens nie, was abends passiert.“
Was bedeutet das?
Die Kanzlerwahl war ein Lackmustest für die Stabilität des neuen Bündnisses – und sie offenbarte Risse. Dass Merz im ersten Wahlgang durchfiel, zeigt, dass die Koalition zwar rechnerisch steht, politisch aber unter Spannung steht. Wer auch immer aus dem Lager der eigenen Unterstützer die Gefolgschaft verweigerte, hat ein Warnsignal gesendet: Ein Kanzler Friedrich Merz wird sich seine Mehrheiten künftig hart erarbeiten müssen.
Gleichzeitig bedeutet seine Wahl eine Rückkehr konservativer Führung ins Kanzleramt – erstmals seit Angela Merkels Rückzug 2021. Anders als Merkel steht Merz für eine pointierte konservative Linie mit wirtschaftsfreundlicher Ausrichtung. Dass ausgerechnet die SPD nun sein Juniorpartner ist, macht diese Konstellation besonders brisant.
Was sagen die Akteure?
Friedrich Merz: Zeigt sich gelassen und bemüht sich um Souveränität. Der zweite Wahlgang wird nicht dramatisiert, sondern als Teil eines „ungewöhnlichen Tages“ dargestellt.
Olaf Scholz: Kommentiert mit einem Seitenblick auf die Unvorhersehbarkeit des Amtes – ein stiller Verweis auf die Komplexität des Regierens, die nun Merz erwartet.
Beobachter:innen: Werten den verpassten ersten Wahlgang als politischen Dämpfer, der sowohl auf innerparteiliche Zweifel als auch auf Koalitionsspannungen hindeutet.
Kommentar:
Die Wahl von Friedrich Merz ist ein politisches Ereignis mit symbolischer Tiefe. Die gescheiterte erste Abstimmung ist mehr als eine Fußnote – sie ist Ausdruck politischer Unsicherheit in einem polarisierten Parlament. Für Merz beginnt das Kanzleramt nicht mit Rückenwind, sondern mit einer Mahnung zur Disziplin.
Sein Führungsstil wird nun auf den Prüfstand gestellt: Der oft konfrontative Ton aus der Opposition muss in eine konstruktive Regierungshaltung überführt werden – ohne dabei die eigene Basis zu verlieren. Der Machtwechsel markiert auch einen Kurswechsel: Die Zeiten pragmatischer Mitte-links-Politik weichen einem klarer wirtschaftsliberalen Kurs. Wie viel „Mitte“ diese Koalition wirklich trägt, muss sich erst zeigen.
Ausblick:
Der Kanzler ist gewählt – aber der politische Alltag beginnt mit einem Misstrauensvorschuss. Friedrich Merz muss Vertrauen innerhalb der eigenen Reihen festigen und gleichzeitig beweisen, dass er als Regierungschef mehr ist als ein starker Redner. Die nächsten 100 Tage werden entscheidend sein, um sein Kanzleramt zu stabilisieren.
OZD
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Bild: AFP