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Alarmstufe Rot für die Tropenwälder: Rekordzerstörung 2024 offenbart Versagen globaler Umweltpolitik

Die Zerstörung tropischer Urwälder erreichte 2024 ein neues Rekordhoch. 6,7 Millionen Hektar gingen verloren – eine Fläche so groß wie Panama. Feuer, Landwirtschaft und der Klimawandel treiben die Vernichtung voran. Ein ökologischer Notstand eskaliert.

Noch nie seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2002 wurde weltweit so viel tropischer Regenwald zerstört wie im Jahr 2024. Das World Resources Institute (WRI) meldet den Verlust von 6,7 Millionen Hektar Tropenwald – minütlich verschwanden im Durchschnitt 18 Fußballfelder grüner Lunge unseres Planeten. Die symbolträchtige Zahl, die Panama als Vergleichsgröße heranzieht, wirkt wie ein verzweifelter Versuch, das globale Desaster greifbar zu machen.

Die tropischen Regenwälder sind nicht nur Hotspots der Biodiversität – sie sind vor allem eines: unverzichtbare CO₂-Speicher im Kampf gegen die Klimakrise. Doch während Klimakonferenzen und Nachhaltigkeitsversprechen Schlagzeilen machen, schreitet die Entwaldung in Realität ungebremst voran – schlimmer noch: sie eskaliert.

Fast 50 Prozent der Verluste 2024 sind laut der WRI-Analyse auf Brände zurückzuführen – ein Novum. Damit überholen Feuer erstmals die bisher dominierende Ursache: den landwirtschaftlichen Raubbau. Viele dieser Brände, so die Forscher, sind vom Menschen verursacht – sei es direkt durch Brandrodung oder indirekt durch die Folgen des menschengemachten Klimawandels, der die Wälder austrocknet und anfälliger macht.

Besonders dramatisch ist die Lage in Brasilien, das mit 2,8 Millionen Hektar den größten Anteil an der globalen Tropenwaldzerstörung trägt. Zwei Drittel davon wurden durch Feuer vernichtet – meist im Amazonasgebiet, dem Herzstück globaler Klimastabilität. Obwohl Präsident Lula da Silva in seiner neuen Amtszeit Umweltschutzmaßnahmen implementierte, reicht dies nicht aus, um die wirtschaftlichen Interessen der Agrarindustrie in Schach zu halten. Der Ausbau von Sojaplantagen und Weideflächen schreitet weiter voran.

Widersprüchlich erscheinen die Aussagen unterschiedlicher Quellen: Während das WRI dramatische Zahlen präsentiert, meldete das brasilianische Monitoringprojekt MapBiomas einen Rückgang der Entwaldung. Die Diskrepanz liegt in der Methodik – das WRI bezieht alle Ursachen der Waldzerstörung ein, während andere Erhebungen sich nur auf direkte Rodung konzentrieren.

Doch Brasilien steht nicht allein. In Bolivien hat sich die Waldzerstörung im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht. Auch dort wurden großflächig Brände gelegt, um Platz für industrielle Landwirtschaft zu schaffen. Die Demokratische Republik Kongo und der Kongo verzeichneten ebenfalls starke Zunahmen. Nur wenige Lichtblicke gibt es – etwa in Indonesien und Malaysia, wo Schutzmaßnahmen erste Wirkung zeigen.

Die strukturellen Ursachen sind bekannt: Die globale Nachfrage nach Palmöl, Soja, Rindfleisch, Holz, und nun auch Avocados, Kakao und Kaffee, treibt die Entwaldung stetig weiter. Hinzu kommen neue Herausforderungen: Der weltweite Rohstoffhunger für Metalle wie Lithium und Kobalt lässt den Bergbau immer tiefer in einst unberührte Natur vordringen.

Analyse:
Die Zahlen des WRI sind ein ökologischer Weckruf – oder besser gesagt: ein Schrei. Trotz aller internationalen Bekenntnisse zu mehr Klimaschutz, Biodiversität und nachhaltiger Landnutzung verschlechtert sich die Realität in alarmierender Geschwindigkeit. Die Rekordvernichtung tropischer Wälder zeigt, wie groß die Kluft zwischen politischen Absichtserklärungen und faktischem Handeln bleibt.

Tropenwälder sind Klimaregulatoren, Wasserspeicher, Lebensräume für Millionen Arten und kulturelle Heimat vieler indigener Völker. Ihre Vernichtung bringt nicht nur lokale, sondern globale Konsequenzen mit sich – von Artensterben bis zur Verstärkung extremer Wetterereignisse.

Die systemische Natur des Problems – von globalem Konsum bis zu nationaler Agrarpolitik – macht deutlich: Einzelne Maßnahmen oder Lippenbekenntnisse genügen nicht. Es braucht verbindliche, globale Regelwerke für Lieferketten, mehr finanzielle Unterstützung für den Schutz von Primärwäldern und ein Ende des landwirtschaftlichen Wachstums auf Kosten der Ökosysteme.

Nicht zuletzt ist der Erfolg dieser Maßnahmen auch eine Frage der Gerechtigkeit. Länder mit großen Waldflächen wie Brasilien, Bolivien oder die Demokratische Republik Kongo stehen unter wirtschaftlichem Druck – oft befeuert durch globale Märkte, die auf billige Rohstoffe angewiesen sind. Wer globale Waldschutzpolitik ernst meint, muss diesen Ländern Alternativen bieten – etwa durch Kompensation, Technologietransfer oder Marktanreize für nachhaltige Produktion.

Die Alarmstufe rot ist längst überschritten. Was jetzt zerstört wird, lässt sich nicht einfach ersetzen. Jeder weitere Hektar, der verloren geht, ist ein Stück Zukunft, das unwiederbringlich verschwindet.

OZD



Alle Angaben ohne Gewähr.

Bild: AFP