Mit einer prunkvollen Zeremonie hat Äthiopien den Grand Ethiopian Renaissance Dam (Gerd) eingeweiht – das größte Wasserkraftwerk Afrikas. Regierungschef Abiy Ahmed sprach von einem „großen Erfolg für alle schwarzen Menschen“ und lud Besucher aus aller Welt ein, den Staudamm zu besichtigen. An der Feier nahmen unter anderem Kenias Präsident William Ruto und Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohamud teil.
Der 145 Meter hohe und 1,8 Kilometer lange Koloss am Blauen Nil nahe der Grenze zum Sudan hat eine Speicherkapazität von 74 Milliarden Kubikmetern Wasser und eine Leistung von mehr als 5000 Megawatt. Damit soll sich die äthiopische Stromproduktion verdoppeln. In dem ostafrikanischen Land leben noch immer rund 45 Prozent der Menschen ohne Zugang zu Elektrizität.
Für Addis Abeba ist der Staudamm ein Symbol von Aufbruch und Stolz. Experten erwarten einen Schub für die Wirtschaft, die Industrialisierung und sogar den Ausbau der Elektromobilität – Äthiopien hatte als erstes Land der Welt den Import von Fahrzeugen mit Verbrennermotor verboten.
Doch während Äthiopien feiert, schrillen in Kairo und Khartum die Alarmglocken. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi spricht von einer „existentielle Bedrohung“ und kündigte an, alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um die Nil-Wasserversorgung seines Landes zu sichern. Ägypten, wo mehr als 110 Millionen Menschen auf das Nilwasser angewiesen sind, fürchtet gravierende Folgen für Landwirtschaft, Trinkwasser und Energieversorgung.
Der Konflikt um das Gerd-Projekt hat die geopolitischen Spannungen am Horn von Afrika verschärft. Ägypten intensiviert seine Beziehungen zu Eritrea, Somalia und dem Sudan – Länder, die selbst in rivalisierender Beziehung zu Äthiopien stehen. Damit wird der Staudamm nicht nur zu einem ökonomischen, sondern auch zu einem politischen Sprengsatz in einer ohnehin instabilen Region.
OZD
OZD-Kommentar
Der Mega-Staudamm am Nil ist weit mehr als ein Bauwerk – er ist ein Machtfaktor. Addis Abeba sieht im Gerd den Schlüssel zur Modernisierung, Ägypten eine Gefahr für seine bloße Existenz. Die politische Dynamik ist brandgefährlich: Wenn Ägypten das Gefühl hat, dass seine Wasserrechte bedroht werden, ist ein militärisches Eingreifen nicht ausgeschlossen. Prognose: Der Staudamm wird das Horn von Afrika in den kommenden Jahren prägen – er kann entweder zum Motor für Kooperation werden oder der Zündfunke für den nächsten großen regionalen Konflikt.
Lesermeinungen
„Ein technisches Wunder – und ein Risiko für den Frieden zugleich.“ Katrin Möller, Hamburg
„Ägypten hat recht, sich zu wehren. Ohne Nil kein Leben.“ Hassan Darwish
„Endlich zeigt Afrika, dass es Großprojekte stemmen kann – trotz aller Kritik.“ F. D.
„Warum noch so ein Projekt, wenn es doch genug Strom aus Solar gerade aus Äthiopien gegen kann.“ Werner Heise
OZD-Analyse
Bedeutung für Äthiopien
– Verdoppelung der Stromproduktion auf mehr als 5000 Megawatt
– Symbol nationaler Einheit in einem von Konflikten geprägten Land
– Potenzieller Schub für Industrie und Elektromobilität
Risiken für die Region
a) Ägypten sieht eine existenzielle Bedrohung für seine Wasserversorgung.
b) Der Sudan fürchtet einen Rückgang seiner Wasserzufuhr.
c) Gefahr militärischer Eskalationen in einer fragilen Region.
Zukünftige Szenarien
– Kurzfristig: Verstärkte diplomatische Initiativen und Drohgebärden Ägyptens.
– Mittelfristig: Mögliche internationale Vermittlungsversuche, auch durch die Afrikanische Union.
– Langfristig: Entweder Kooperation im Rahmen gemeinsamer Wasser- und Energieprojekte – oder ein Konflikt, der die Stabilität am Nil und am Horn von Afrika massiv gefährdet.
OZD-Erklärungen
Wer ist Abiy Ahmed?
Abiy Ahmed ist seit 2018 Premierminister Äthiopiens. Er erhielt 2019 den Friedensnobelpreis für seine Aussöhnungspolitik mit Eritrea. In seiner Amtszeit leitete er Reformen ein, geriet aber durch den verheerenden Bürgerkrieg in Tigray massiv unter Druck.
Was ist der Grand Ethiopian Renaissance Dam (Gerd)?
Der Gerd ist das größte Wasserkraftwerk Afrikas. Mit seiner gigantischen Staumauer und einem Reservoir von 74 Milliarden Kubikmetern soll er Äthiopien unabhängig von Energieimporten machen. Zugleich ist er seit Jahren Zankapfel zwischen Äthiopien, Sudan und Ägypten.
Warum ist der Nil so wichtig für Ägypten?
Der Nil ist die Lebensader Ägyptens. Rund 97 Prozent des Wassers, das im Land genutzt wird, stammt aus dem Fluss. Ein Rückgang der Wasserzufuhr würde Landwirtschaft, Trinkwasserversorgung und Energieproduktion massiv beeinträchtigen.
Mini-Infobox – Mega-Staudamm Gerd
– Standort: Blauer Nil, nahe Grenze zum Sudan
– Höhe: 145 Meter
– Länge: 1,8 Kilometer
– Speicherkapazität: 74 Milliarden m³
– Leistung: über 5000 Megawatt
– Bauzeit: seit 2011
– Besonderheit: größtes Wasserkraftwerk Afrikas
Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.