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Welt am Klimakipppunkt: Die Menschheit hat keine Zeit mehr, aber die hälfte aller Länder uneinsichtig

Warnungen. UN-Chef Simon Stiell fordert ein Ende der Hinhaltetaktik – während Deutschland auf einen globalen Ausstieg aus fossilen Energien drängt.

Die entscheidende Phase der COP30 in Belém hat begonnen – und sie startet mit einem Paukenschlag. UN-Klimasekretär Simon Stiell warnte die Delegationen aus mehr als 190 Ländern davor, weiter Zeit zu verspielen. „Keine taktischen Verzögerungen, keine Hinhaltetaktiken“, mahnte er im Plenum und machte klar, dass die Weltgemeinschaft längst am Limit angekommen sei. Während offiziell am Freitag Schluss sein soll, rechnet kaum jemand mit einem pünktlichen Ende. Zu groß sind die Konflikte, zu weit entfernt die Kompromisse.

Im Zentrum der Verhandlungen stehen drei Konfliktlinien: die drastische Reduktion von Treibhausgasen, die Frage fairer Klimahilfen und der Streit um klimapolitische Handelsmaßnahmen. Besonders verletzliche Inselstaaten, unterstützt von der EU und lateinamerikanischen Partnern, pochen auf einen klaren Schritt hin zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Dass die bisherigen weltweiten Klimaschutzmaßnahmen dafür völlig unzureichend sind, ist seit dem COP-Bericht unbestritten.

Bundesumweltminister Carsten Schneider zeigte sich kämpferisch: Deutschland sei bereit, einen konkreten Fahrplan für den globalen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen mitzutragen. Doch ausgerechnet große Schwellenländer wie China und Saudi-Arabien blockieren jede Formulierung, die ihnen mangelnde Klimaschutzbemühungen attestiert. Schneider sprach dennoch von „Hoffnung“, dass in dieser Woche Bewegung entstehe.

Noch schärfer wird der Ton beim Thema Klimafinanzierung. Viele afrikanische Staaten werfen Industrieländern vor, leere Versprechen zu machen. Doch Haushaltsprobleme – und der Rückzug der USA aus ihrer Rolle als großer Geber – sorgen für Zurückhaltung. Deutschland will derzeit keine neuen finanziellen Verpflichtungen eingehen.

Parallel eskaliert der Streit um einseitige Handelsmaßnahmen. China, Indien und weitere Staaten wollen eine klare Verurteilung von Handelsinstrumenten wie dem europäischen CO₂-Grenzausgleich CBAM, der klimadreckig produzierte Güter teurer macht. Die EU lehnt eine solche Formulierung ab und verweist auf ihre eigenen Unterstützungsangebote für ärmere Länder. EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra verteidigte den CBAM als „notwendigen Schritt“ auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Umweltorganisationen warnen unterdessen davor, dass ohne klare Entscheidungen alles auf dem Spiel stehe. WWF und Oxfam fordern einen verbindlichen globalen Ausstiegsplan aus Kohle, Öl und Gas und ein klares Finanzierungsmodell für besonders gefährdete Staaten. Vor den Konferenztoren machten indigene Gruppen mit Demonstrationen erneut auf ihre Schutzrolle für den Regenwald aufmerksam.

Für einen Moment gab es jedoch auch einen Lichtblick: Südkorea kündigte an, keine neuen Kohlekraftwerke mehr zu bauen und seine bestehenden Meiler schrittweise stillzulegen. Ein Schritt – aber noch lange nicht genug in einer Woche, die über die Glaubwürdigkeit der Weltklimapolitik entscheidet.

OZD


OZD-Kommentar

Diese Konferenz droht zum Sinnbild einer Welt zu werden, die ihre eigenen Warnschilder ignoriert. Während der Amazonas brennt und Klimarisiken eskalieren, streiten Staaten über Formulierungen, Privilegien und politische Eitelkeiten. Stiells Mahnung war nicht überzogen – sie war eine verzweifelte Erinnerung daran, dass politische Zeit und physikalische Realität nicht dieselben Regeln kennen. Die Blockade der großen Emittenten ist ein Schlag ins Gesicht all jener Regionen, die längst im Überlebensmodus sind.

Besonders bitter wirkt die Debatte um Klimafinanzierung: Die Länder, die historisch am meisten zur Erderwärmung beigetragen haben, zögern bei den Zahlungen, während ganze Staaten im Pazifik um ihre Existenz kämpfen. Wenn die Industrieländer nicht endlich liefern, brechen Vertrauen und Legitimität dieser Konferenz zusammen.

Und doch bleibt ein Funken Hoffnung: Ein globaler Abgesang auf fossile Energien wäre ein historischer Schritt. Aber er braucht politischen Mut – und den zeigen derzeit nur wenige. Ob Belém zur Klimawende wird oder zur nächsten verpassten Chance, entscheidet sich in Tagen, die über die Zukunft ganzer Generationen mitbestimmen.


Mini-Infobox
– Drei zentrale Streitpunkte: Emissionen, Finanzierung, Handel
– COP30 offiziell bis Freitag, übliche Verlängerung wahrscheinlich
– EU verteidigt CO₂-Grenzausgleich CBAM
– Südkorea kündigt Ausstieg aus neuer Kohlekraft an
– Inselstaaten fordern schärfte Reaktionspläne


OZD-Analyse

Globale Konfliktlinien
Die COP30 zeigt deutlich, wo die Weltgemeinschaft steht: zwischen ambitionierten Zielen und nationalen Interessen.
– Industrieländer wollen Ziele, scheuen aber Geld
– Schwellenländer fordern Verantwortung ohne Einschränkung
– Verletzliche Staaten pochen auf 1,5 Grad –
Diese Linien prägen jede Verhandlung.

Der Machtkampf um CBAM
Der EU-Grenzausgleich wird zum geopolitischen Instrument.
– Schutz der europäischen Industrie
– Vorwurf: „grüner Protektionismus“
– EU bietet Ausgleichshilfen –
Ein globales Handelsabkommen bleibt in weiter Ferne.

Die Bedeutung der fossilen Debatte
Ein Ausstiegsfahrplan wäre ein historischer Beschluss.
– Widerstand von China und Saudi-Arabien
– EU und Inselstaaten drängen auf klare Sprache
– Deutschland positioniert sich als Vermittler –
Gelingt kein Fossil-Beschluss, verliert die COP an Glaubwürdigkeit.


Erklärungen

Was ist die COP30?
Die COP30 ist die 30. UN-Weltklimakonferenz und findet in diesem Jahr im brasilianischen Belém am Amazonas statt. Sie ist das zentrale politische Forum für globale Klimaziele, Emissionsreduktionen und Klimafinanzierung.

Was ist der CBAM?
Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) ist ein EU-Instrument, das CO₂-intensive Importe wie Stahl oder Zement mit einem Klimazoll belegt, um Wettbewerbsnachteile europäischer Unternehmen auszugleichen und globale Emissionen zu senken.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.