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„Kipppunkte in Sicht“ – Alarm vor UN-Gipfel in Brasilien

Die Erde steuert nach Einschätzung führender Klimaforscher auf eine gefährliche Phase unumkehrbarer Veränderungen zu.

In einem am Dienstag veröffentlichten Klimafaktenpapier listen internationale Forschungsorganisationen dramatische Entwicklungen auf: Der Meeresspiegel steigt immer schneller, das Eis an den Polen schmilzt, und Extremwetter-Ereignisse wie Hitzewellen, Dürren und Starkregen nehmen weiter zu.

„Wir beobachten, dass weltweit Meer- und Festlandeis schrumpfen und sich der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt“, erklärte Professor Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut. Dem Bericht zufolge waren die vergangenen zehn Jahre die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen – 2024 setzte mit neuen Temperaturrekorden den traurigen Höhepunkt. Europa erwärmt sich laut dem EU-Klimadienst Copernicus schneller als jeder andere Kontinent.

Das Pariser Klimaziel, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird nach Einschätzung der Experten bereits in den kommenden zehn Jahren dauerhaft überschritten. Damit drohen sogenannte Kipppunkte, bei denen ganze Ökosysteme kollabieren. „Die tropischen Korallenriffe haben wir vermutlich bereits verloren“, sagte Klimaforscher Frank Böttcher. „Ab 1,5 Grad betreten wir auch bei Grönlands Eisschild, der Antarktis und der Atlantischen Umwälzzirkulation den Hochrisikobereich.“

Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst warnte indes davor, den Kampf aufzugeben: „Jedes vermiedene Zehntelgrad zählt. Es reduziert Schäden, Kosten und Leid.“

Thomas Hickler vom Deutschen Klima-Konsortium verwies auf die weltweite Unterstützung für entschlossenen Klimaschutz: Laut einer Umfrage in 125 Ländern fordern 89 Prozent der Befragten eine ambitioniertere Klimapolitik.

Kommenden Montag beginnt in Belém die zweiwöchige Weltklimakonferenz. Schon am Donnerstag reisen Staats- und Regierungschefs – darunter auch Kanzler Friedrich Merz – zu Vorgesprächen an. Doch mit den bisherigen Zusagen der rund 190 Vertragsstaaten steuert die Erde laut Berechnungen weiter auf eine Erwärmung von bis zu vier Grad zu – und auf eine Zukunft, die sich selbst entzieht.

OZD


OZD-Kommentar:
Die Erde ruft – und die Politik schläft. Wieder einmal wird vor Kipppunkten gewarnt, wieder einmal wird verhandelt. Doch was folgt, ist meist Symbolpolitik statt Systemwandel. Während Eisschilde schmelzen und Korallenriffe kollabieren, diskutiert die Welt über Grenzwerte, die längst überschritten sind. Der Klimawandel ist kein fernes Szenario, sondern die Gegenwart. Und wer jetzt noch zaudert, entscheidet sich bewusst gegen die Zukunft – und für das Kippen einer Welt, die sich nicht mehr stabilisieren lässt.


Mini-Infobox:
– 2024: wärmstes Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen
– 10 heißeste Jahre: alle im letzten Jahrzehnt
– Kipppunkte: Korallenriffe, Grönland, Antarktis, Meeresströmung
– 89 % der Weltbevölkerung fordern mehr Klimaschutz
– UN-Klimakonferenz startet Montag in Belém (Brasilien)


OZD-Analyse

Globale Alarmstufe Rot
– 2024 markiert den Höhepunkt einer beispiellosen Erwärmungsphase.
– Die 1,5-Grad-Grenze ist de facto nicht mehr zu halten.
– Wetterextreme bedrohen Lebensräume und wirtschaftliche Stabilität.

Die Kipppunkte des Planeten
a) Ökosysteme: Korallenriffe kollabieren, Permafrost taut, Artensterben beschleunigt sich.
– Folgen: Verlust natürlicher CO₂-Speicher, Destabilisierung regionaler Klimasysteme.
b) Eisschilde und Meeresströmungen:
– Abschmelzende Polkappen erhöhen Meeresspiegel und verändern Strömungsmuster.
– Risiko: Zusammenbruch der Atlantischen Umwälzzirkulation mit massiven Klimaeffekten in Europa.


Politisches Versagen und globale Verantwortung
– Trotz Wissen und Warnungen bleiben Klimaziele vage.
– Nationale Interessen blockieren gemeinsame Strategien.
– Nur ein global koordinierter Ausstieg aus fossilen Energien kann die Erderwärmung bremsen.

Was ist das Klimafaktenpapier?
Das Klimafaktenpapier ist eine wissenschaftliche Zusammenfassung führender Forschungsinstitute wie des Alfred-Wegener-Instituts, des Deutschen Klima-Konsortiums und des EU-Klimadienstes Copernicus. Es wird jährlich vor der UN-Klimakonferenz veröffentlicht und dokumentiert aktuelle Entwicklungen, Risiken und wissenschaftliche Erkenntnisse zur globalen Erwärmung.

Was sind Klima-Kipppunkte?
Kipppunkte sind kritische Schwellen im Klimasystem, ab denen Veränderungen unumkehrbar werden. Beispiele sind das Abschmelzen der Eisschilde, das Absterben von Korallenriffen oder der Zusammenbruch globaler Meeresströmungen. Wird ein Kipppunkt überschritten, beschleunigt sich die Erwärmung selbstständig.

Alle Angaben ohne Gewähr. Titelbild AFP.

OZD-Extras
Bonus-Info: Laut neuesten Satellitendaten verliert die Antarktis jährlich rund 150 Milliarden Tonnen Eis – ein Volumen, das ausreichen würde, um ganz Deutschland mehrere Meter hoch zu überfluten.