... – sofern die Sicherheitslage es zulässt – nach Berlin, wo Bundeskanzler Friedrich Merz zu deutsch-ukrainischen Wirtschaftsgesprächen und zu einem Austausch über den Fortgang der Friedensverhandlungen lädt. Am Abend stoßen weitere europäische Staats- und Regierungschefs sowie Spitzen Vertreter von EU und NATO hinzu. Der symbolische Anspruch ist groß: Berlin soll der Ort werden, an dem die entscheidende Phase der diplomatischen Lösungsfindung sichtbar wird.
Doch hinter der diplomatischen Choreografie verbirgt sich ein Geflecht aus Druck, widersprüchlichen Interessen und geopolitischem Kalkül. Aus Kiew heißt es zwar, Selenskyj wolle persönlich teilnehmen, doch die ukrainische Führung weiß genau, dass sie zwischen maximalen Kriegszielen und den Forderungen ihrer Verbündeten eingeklemmt ist.
US-Druck auf Kiew: Territoriale Zugeständnisse bleiben Kernstreitpunkt
Washington hält sich auffällig bedeckt. Die US-Regierung wolle nur einen hochrangigen Vertreter entsenden, wenn eine „echte Chance auf ein Friedensabkommen“ bestehe. Hinter diesem diplomatischen Understatement steckt eine klare Realität: Der von den USA vorgelegte Friedensplan war in der Ursprungsversion stark russlandfreundlich, erst nach vehementem Protest der Ukraine und mehrerer EU-Staaten wurde er nachjustiert. Doch offen bleibt, ob die Anpassungen ausreichend sind, um für Kiew akzeptabel zu sein.
Selenskyj selbst machte jüngst klar: Die USA drängen weiterhin auf weitreichende territoriale Zugeständnisse. Besonders brisant ist die Idee einer „freien Wirtschaftszone“ im ukrainisch kontrollierten Teil des Donezk-Gebiets – ein Vorschlag, der faktisch die Anerkennung russischer Besatzung stabilisieren würde. Für eine ukrainische Führung, die tausende Tote, zerstörte Städte und existenzielle Verluste verantworten muss, ist dieser Ansatz politisch kaum vermittelbar.
EU-Beitritt ab 2027: Hoffnung oder diplomatisches Zugeständnis?
Aus Verhandlungskreisen wurde zudem bekannt, dass ein EU-Beitritt der Ukraine bereits für Januar 2027 im Entwurf vorgesehen sei. Ein ausgesprochen ambitionierter, wahrscheinlich unrealistischer Zeitplan. Dass die Amerikaner diesen Vorschlag unterstützen, wirkt wie ein geopolitisches Tauschgeschäft: Kiew soll territoriale Abstriche machen – und erhält im Gegenzug ein sehr frühes EU-Beitrittsversprechen.
Diese Konstellation wirft Fragen auf: Wird hier ein diplomatisches „Paket“ geschnürt, das langfristige europäische Strukturen zur Kompensation akuter geopolitischer Verluste benutzt? Und wie reagieren EU-Staaten, die den Beitrittsprozess normalerweise strikt an Reformkriterien knüpfen?
Sicherheitsgarantien: Die rote Linie Kiews
Für die Ukraine ist klar: Ohne rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien gibt es kein Abkommen. Die ukrainische NATO-Botschafterin Aljona Hetmanschuk fordert Schutzmechanismen, die Artikel 5 des NATO-Vertrags nahekommen. Nur ein völkerrechtlich bindender Vertrag – idealerweise mit den USA und mehreren europäischen Staaten – könne einen erneuten russischen Angriff verhindern.
Diese Forderung ist nachvollziehbar, aber politisch extrem anspruchsvoll. Westliche Staaten müssen entscheiden, ob sie sicherheitspolitisch de facto Teil des Konfliktpotenzials werden wollen.
Putin, Erdogan und die geopolitische Nebenbühne
Während Berlin und Washington diskutieren, schafft Wladimir Putin eigene Realitäten. In Turkmenistan traf er sich mit dem türkischen Präsidenten Erdogan, der ihm eine auf Energieinfrastruktur und Häfen begrenzte Waffenruhe vorgeschlagen haben soll. Ankara versucht erneut, als regionaler Vermittler aufzutreten – ein Rollenbild, das der Türkei politische Reichweite verschafft, gleichzeitig aber die westlichen Verhandlungspositionen konterkariert.
Selenskyj zeigte sich offen für diese Teil-Waffenruhe. Ob dies diplomatische Taktik oder ein Zeichen zunehmender Erschöpfung ist, bleibt offen.
Militärische Lage: Ukraine meldet Geländegewinne bei Kupjansk
Militärisch verbucht die Ukraine einen wichtigen Erfolg: In der Region Charkiw wurden mehrere Orte rund um Kupjansk zurückerobert, der russischen Versorgungskorridor zum Fluss Oskil wurde nach ukrainischen Angaben unterbrochen. Selenskyj besuchte die Soldaten persönlich – ein klares Signal an die eigene Bevölkerung und an die internationalen Partner, dass die ukrainische Armee weiterhin operationsfähig bleibt.
Russland hingegen meldet eigene Angriffe im Landesinneren: In Twer wurden durch Trümmerteile einer ukrainischen Drohne sieben Menschen verletzt. Auch diese Schlagzeilen zeigen, wie weit der Krieg inzwischen räumlich und psychologisch reicht.
OZD
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Bild: AFP