Es ist ein Verfahren, das über die Schuld oder Unschuld eines einzelnen Mannes hinausweist: Der Prozess gegen Sean "Diddy" Combs offenbart auf erschütternde Weise, wie tief verankert sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch auch in der Musikindustrie sind – und wie lange dies von der Öffentlichkeit wie auch von Branchenverantwortlichen ignoriert wurde.
Combs, einst gefeierter Musikproduzent und Unternehmer, steht in New York vor Gericht – unter dem Verdacht, ein Netzwerk aus Einschüchterung, Gewalt und Missbrauch aufgebaut zu haben. 133 mögliche Geschworene wurden nun für ein Verfahren ausgewählt, das bis zu zehn Wochen dauern soll. Im Raum stehen Vorwürfe, die sich über Jahre hinweg aufgebaut haben: Nötigung, Vergewaltigung, Erpressung, sogar organisierte kriminelle Aktivitäten – die Liste ist lang und erschütternd.
Zwar bestreitet der 55-Jährige alle Anschuldigungen. Doch die Schilderungen von Betroffenen, allen voran seiner Ex-Partnerin Casandra "Cassie" Ventura, zeichnen ein anderes Bild. Ventura beschreibt Jahre der Kontrolle, Gewalt und sexuellen Ausbeutung – ein Überwachungsvideo aus einem Hotel soll einen dieser Übergriffe belegen. Die Entschuldigung Combs’ wirkt im Licht der weiteren Anklagen hohl. Und wenn sein Anwalt das Ganze als einvernehmliches Verhalten innerhalb eines "Swinger"-Lebensstils verharmlost, wirkt das nicht nur deplatziert, sondern zynisch.
Denn Combs ist kein Einzelfall, sondern Teil eines größeren strukturellen Problems: Anders als in Hollywood hat sich die Musikbranche bislang kaum mit den Abgründen ihrer eigenen Machtstrukturen beschäftigt. Der Fall R. Kelly war ein Weckruf – doch viel passiert ist seitdem nicht. Der Prozess gegen Combs könnte nun eine Zäsur markieren, ein später, aber dringend nötiger Schritt zur Aufarbeitung.
Für Aktivistinnen wie Caroline Heldman ist der Fall symbolisch: Die Gründerin der „Sound Off Coalition“ sieht in diesem Verfahren ein Signal – nicht nur an die Justiz, sondern an eine ganze Branche, die sich ihrer Verantwortung zu lange entzogen hat. Ihre Hoffnung: Gerechtigkeit für die Betroffenen und Mut für weitere Überlebende, sich zu äußern.
Dass ein so mächtiger Akteur wie Sean Combs sich nun vor einem Gericht verantworten muss, ist ein Zeichen dafür, dass der Schutz der Prominenz nicht länger absolute Immunität bedeutet. Und ein Appell an alle, die Missbrauch sehen – aber zu oft geschwiegen haben.
OZD
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